Diese Nacht habe ich gefroren. So kalt ist es zwar nicht, aber feucht. Um 7:30 Uhr greife ich meinen Frühstücksbeutel, gehe auf die überdachte Terrasse (= Küche) und braue mir einen Kaffee. Ich bemühe mich, leise zu packen, und bin um 8:30 Uhr auf dem Weg, ohne die anderen geweckt zu haben. Mütze und Handschuhe sind heute nicht im Rucksack, sondern am Mann. Es ist diesig und so lege ich den großen Gang ein, spule die unangenehme Passage an der Nationalstraße ab und suche den Einstieg zum Camino Duro. Beim dritten Anlauf habe ich einen Weg getroffen, der zwar nicht der ausgewiesene ist, mich nach dreimaliger Nachfrage aber auf diesen führt. Ein Bauer ruft vom Feld, ich liefe in die falsche Richtung, ich kann ihn beruhigen. Dann bin ich aus dem Dunst heraus, habe einen wunderbaren Blick über die Berge. Das Rauschen der Straße stört mich gar nicht, war es mir doch beim Aufstieg das einzige richtungsweisende Signal. Um 13:00 Uhr komme ich in Villafranca del Bierzo an, Einkauf für Picknick, Kaffee in der Bar, in der ich mit Paul, Ingo und Lijgien zu Abend gegessen habe - schöne Erinnerungen sind zugelassen. Die Uhrzeit sagt mir, dass meine individuelle Wegvariante mir eine Stunde Camino geschenkt hat, Schritte für ca. vier Kilometer - keinen möchte ich missen. Für jeden dieser Schritte bin ich hier. Also weiter auf dem Weg, ich kenne ihn, bin im Sommer ein paarmal von der Innenstadt zur Herberge gegangen. In der Herberge möchte ich mir nur einen Stempel geben lassen, ich bekomme drei angeboten - noch besser. Beim zweiten Satz einigen die Hospitalera und ich uns auf Deutsch. Auch sie kennt die Probleme des Rückweges und die eher spartanische Kennzeichnung. Aus meinen 19 Kilometern nach Ponferrada macht sie mit zwei Sätzen 25 Kilometer. In einem weiteren Nebensatz sagt sie dann: „Na ja, Du siehst so aus, als ob Du Dir zur Not auch eine Pension leisten kannst." Sieht man mir den mit goldener Kreditkarte abgefederten Pilger an? - Und wenn, es ist ja so.
Der weitere Weg durch die Weinberge ist wieder traumhaft. Ich schmecke die Luft und weiß, warum ich hier bin. Dann verpasse ich mal wieder eine Abzweigung, frage mich durch und werde die Straße entlang geschickt. - Auch gut. Irgendwann stoße ich wieder auf den Weg, eine mir bekannte Stelle - Erinnerungen – schön! Ein Schild an einem Schuppen fordert liebevoll mit dem alten Pilgerruf zum Weitergehen auf: „Ultreia". Er ist mir vertraut, doch trotz großen Latinums fällt mir der ganze Spruch nicht ein, ich sehe ihn aber, zu Hause angekommen, nach: „Ultreia, Ultreia, et Suseia, Deus, adjuva nos!" - „Vorwärts, immer weiter und aufwärts (im geistigen Sinne), Gott helfe uns auf unserem Weg" (http://www.pilger-weg.de).
Dann ist der Weg wieder anders als die Erinnerung und es ist auch ein anderer Weg. Ich halte Radfahrer an, frage mich durch, lerne andere Plätze und das Castell von Ponferrada kennen. Nur zweimal taugt die Auskunft nicht, dafür kommt ein Jogger sogar ein Stück mit, um mich eindeutig auf den richtigen Weg zu bringen.
Im Sommer war die Herberge in Ponferrada für mich eine Massenherberge mit kalter Dusche. Heute bekomme ich für mich alleine ein Vierbettzimmer und die Dusche ist warm. Ich renne zum Supermarkt, das Frühstück zu besorgen, und mache mich auf in die Stadt und gönne mir ein schönes Abendessen. Ein wunderbarer Pilgertag geht zu Ende. Ich habe meinen Weg gefunden.
Für morgen steht Rabanal del Camino an, ein Weg von etwas über dreißig Kilometern. Die Strecke bin ich im Sommer auch an einem Tag gegangen. Dann noch eine kleine Etappe von zwanzig Kilometern bis Astorga und diese Pilgerfahrt geht per Bus weiter. Ich bin gespannt, inwieweit Plan und Wirklichkeit übereinstimmen werden.
In der Herberge sind wir zu siebt, je zwei aus Belgien, Korea und Argentinien. Zu groß sind die Sprachbarrieren, um Themen außer dem Camino zuzulassen: der Weg, die Menschen - jeder geht seinen Weg - jeder Camino ist besonders. Dann der obligatorische Austausch, welche Herbergen geöffnet sind, Sauberkeit, Heizung, etc.
Es fällt schwer, die beiden Aufenthalte in dieser Herberge nicht miteinander zu vergleichen: Es ist der gleiche Ort, aber eine andere Zeit. So ist alles anders.