Das heilige Jahr 2010, mein zweiter Camino, nur ein kurzer von Porto bis nach Santiago, beginnt. Stillos, jedoch bequem, fliege ich nach Porto, mit 75 Euro ist das die preisgünstigste Methode. Gestern Mittag fing ich an, aufgeregt zu werden. Einiges an Schriftkram war noch im Briefkasten und ich hatte das Bedürfnis, alles noch zu erledigen. Katharina war wie gewohnt traumhaft, vermittelte Ruhe. Prima war auch, dass ich es am Morgen noch geschafft hatte, Felicitas auf Gran Canaria zu erreichen, und dass sie uns für Anfang März dort ein Apartment besorgen konnte. Felicitas und Jutta lernte ich auf dem ersten Camino am Kap Finisterre kennen und als Dank für ein paar Fotos versprachen sie mir eine Stadtführung auf Gran Canaria. Beim Abschied sagte Katharina dann: „Es ist schön, dass es etwas gibt, auf das wir uns freuen können." Ja, es ist schön, irgendwohin zu fahren und dort freundlich empfangen zu werden. Alles ist so einfach.
Ich sitze im Flugzeug und bin gerade in Gedanken die Packliste durchgegangen, Routine seit dem ersten Camino beim Auszug aus jeder Herberge. Wäscheklammern habe ich vergessen. Ob ich herausfinde, was „Wäscheklammer" auf Portugiesisch heißt? Ich kenne das Wort noch nicht einmal auf Englisch. Der erste Einsatz meines Spanischwörterbuchs wird also schon in Porto stattfinden. Alternativ könnte ich große Sicherheitsnadeln einsetzen - mein Gedankenniveau ist schon ganz auf Camino-Ruhe heruntergefahren. Nur die unwichtigen, leicht lösbaren Kleinigkeiten beschäftigen mich.
Anders als beim ersten Camino waren die Wünsche beim Abschied. Freunde und Bekannte aus dem Ort hatten rund um Weihnachten einen guten Weg mit in die Wünsche eingeschlossen. Die Pilgerfreunde haben gestern und heute früh noch per Mail und Facebook gute Wünsche mitgegeben. Manni und Lijgien bekamen mit, dass ich auf Stöcke verzichten will, und haben mich so nachhaltig „beraten", dass ich gegen Mitternacht noch einmal in den Keller gestiegen bin und die Stöcke sach- und fachgerecht am Rucksack befestigt habe. Sollte ich die Stöcke nicht gebrauchen, werde ich zwei bis drei Sekunden nicht mit den beiden reden.
Porto hat eine Metro, ich hätte es vorher lesen können. So erfahre ich das, als ich die Information brauche, wie ich in die Stadt komme. Zunächst noch einmal ein Rundgang durch den Flughafen. Ich hatte in Köln vergessen, mir die Meilen auf die Karte buchen zu lassen. Der Flughafen ist groß, ich kenne ihn nun gut. Der Schalter meiner Airline ist geschlossen. Ich frage mich durch und darf dahin laufen, wo ich gestartet bin. Nach dem langen Sitzen im Flugzeug tut die Bewegung gut. Die Dame am Schalter ist nett und ich brauche das für den Flug notwendige Papier nicht zu entsorgen, sondern es wird am Monatsende an „meine" Airline geschickt.
Diesmal nehme ich nicht die Treppe, sondern den Fahrstuhl zur Etage „Minus eins". Am Fahrscheinautomaten überlege ich, komme nicht auf die Idee, die englische Fahne zu drücken. Eine nette Dame spricht mich an, entscheidet gleich meinen Zielbahnhof mit und 1,95 Euro später habe ich einen Fahrschein, den ich nachladen kann, so wird mir erklärt. Ich finde die Bahn, grüble aber auf dem Bahnsteig, welchen Zielbahnhof mir die Dame mit auf den Weg gegeben hat. Ein junger Mann spricht mich auf Englisch an. Er kommt bezüglich des Bahnhofs zur selben Entscheidung wie ich. Ich finde den Bahnhof auf dem Plan, zähle murmelnd die Stationen und prompt führen wir unser Gespräch auf Deutsch fort. Er saß im Flugzeug eine Reihe schräg vor mir, aber dort kommt man selten ins Gespräch. Er ist auf dem Weg nach Lissabon, wird dort in einem Architekturbüro arbeiten. Jetzt finde ich in meinem Führer auch einen Stadtplan, lese die Seiten über Porto, bekomme Bescheid gesagt, dass ich aussteigen muss. In der Stadt laufe ich erst einmal los, ich habe ja Zeit und bin zum Laufen hier. Ein Gebäude wird von einem Polizisten bewacht, ich frage nach der Touristeninformation und, klar, die ist nur zwei Ecken weiter. Von der dortigen netten Dame bekomme ich einen Stadtplan, den ersten Stempel in den Pilgerpass und den Hinweis, dass ich mir in der Kathedrale auch einen abholen kann. Ich laufe an vielen Hotels und Pensionen vorbei, keine Tür sagt: „Eintreten!" zu mir. Irgendwann finde ich mich vor einer Kirche, werde von einer Dame angesprochen, ob ich wisse, wo die Kathedrale sei. Ich habe auch keine Ahnung, ich weiß nur, dass ich in Porto bin. Von dort bin ich gekommen, also bleibt nur die entgegengesetzte Richtung übrig. Die Tochter klärt das Weitere bei einer Passantin. Wieder einmal nur zwei Ecken weiter stehen wir vor der Kathedrale. Hier ist der Stempel sicher in der Schublade verstaut. Er wird aus einem Plastikbeutel geholt und ich bekomme meinen zweiten Stempel in den Pilgerpass. Dann darf ich mich noch in die Liste eintragen. Zu einem Drittel ist die Seite schon voll, auch im Dezember sind Pilger in Porto gewesen, gestern war auch einer hier. Noch eine Touristeninformation, noch eine Karte von Porto. Ich frage nach der örtlichen Albergue. Ja, im Feuerwehrhaus kann man übernachten, so steht es auch in meinem Führer. Der dritte Plan bekommt zwei Kreuze und ich bekomme auf den Weg, dass es nur zehn Minuten sind, und die Richtung wird mir auch gleich gewiesen. Also laufe ich zehn Minuten in diese Richtung, versuche, mich auf dem Plan zu orientieren, und entscheide mich lieber für einen Café solo grande. Nach dieser Stärkung finde ich dann heraus, dass ich viel zu weit gegangen bin.
Porto ist eine schöne Stadt, jeder Schritt bisher hat sich gelohnt. Die Feuerwache finde ich nun einfach, es stehen viele Feuerwehrautos vor den Türen. Ich werde freundlich aufgenommen und darf mir ein Bett im ersten Stock des Mannschaftsraumes aussuchen. 16 Betten hat die Feuerwehrwache. Nach einer Dusche gehe ich wieder in die Stadt, denn ich soll bitte erst ab 21:00 Uhr wieder auftauchen, um den Betrieb nicht zu stören. Die Jagd nach Wäscheklammern beginnt, nebenbei Kirchen, ein weihnachtlich geschmücktes Porto. Vor den Wäscheklammern finde ich Saughaken, die auf meiner Packliste fehlen, aber das Balancieren der Wäsche beim Duschen erleichtern.
Der Anruf bei Katharina macht uns beide froh. Bei der Suche nach einem Restaurant fehlt mir Ineke vom Camino Francés, denn ich kann mich nicht entscheiden. Ich lande bei der „Ich-gönne-mir-was"-Variante, leise Klaviermusik, Empfang von einem Herrn im Smoking, und die Ober tragen alle die Uniform eines Ozeankapitäns. Oh, ein hartes Pilgerleben.... Ich bin glücklich, so einfach in meinen zweiten Camino hineingefunden zu haben.