Um kurz nach sieben bin ich wach. Heute Nacht war wieder Party unter meinem Zimmerfenster. Das scheint mein Schicksal auf diesem Camino zu sein. Oder ist es die Prüfung, ob ich meine Lektion gelernt habe und mit Ärger gut umgehen kann? Immerhin dauert der Ärger nur so lange, wie ich den Lärm höre und verfliegt beim ersten Café con leche. Ich halte mich noch eine halbe Stunde an der Matratze fest, dann mache ich mich fertig. Die Griffe zum Abmarsch sitzen im Schlaf. Um 8:00 Uhr schlendere ich aus dem Hotel und gehe zurück zur Kirche, denn dort gegenüber gibt es eine Bäckerei. Auf dem Weg dorthin treffe ich das deutsche Ehepaar. Leider macht der Bäcker am Sonntag erst um 9:00 Uhr auf. Also geht es ohne Kaffee, aber auch ohne ärgerliches Gefühl los.
An der Römerbrücke treffe ich die Eva und Lena. Sie suchen wieder einmal Wolfgang. Ich bin wohl recht wortkarg, so jedenfalls teilen sie mir das später mit. Ich lasse die beiden laufen und trödele auf dem Weg vor mich hin. Ich will heute nur bis Padrón. Und so trödle ich weiter, den Kopf wunderbar leer. Ich schaue in die Landschaft, sehe Blumen, höre Vögel und bin oft viel zu faul, den Fotoapparat zu zücken. Im Gemeindegebiet von Vega gibt es dann wie voriges Jahr eine Kontrolle durch Beamtinnen der Gemeinde und einen Stempel in den Pilgerpass auf offener Straße.
Der Weg ist schön. Fast jeden Stein erkenne ich wieder.
Als ich in Padrón ankomme, trifft mich fast der Schlag: Ein riesiger Markt und zig Fahrgeschäfte mit der entsprechenden lärmenden Musik. Ich treffe das deutsche Ehepaar wieder. Sie sitzen in einer Bar mit Blick auf den Rummel. Wegen des Lärms setzte ich mich nicht auf einen Kaffee dazu. Ich habe gelernt auf mich und mein Bedürfnis nach Ruhe zu achten. Drei Mandarinen kaufe ich trotzdem, obwohl ich Fluchtgedanken habe. Fast bin ich aus dem Lärm hinaus, da sehe ich in einer Bar Lena und Evi. Also stoße ich zu den beiden Damen. Gemeinsam gönnen wir uns einen Café con leche, warten auf das bestellte Essen zum Mitnehmen und teilen redlich meine gerade erworbenen Mandarinen. Das Mittagessen verspeisen wir auf einer Bank am Ufer des Flusses, nur ein paar Meter von der Stelle entfernt, wo nach der Legende der Apostel Jakob angelandet ist. Dann geht es die 114 Stufen zur Statue, dem „Jaköbchen vom Berge“, hoch. Wir schaffen es in einem Zuge, werden also alle drei in den vollen Genuss der Gnade kommen, wie die Legende es verspricht. Die Damen sortieren noch etwas im Rucksack und ich gehe langsam voran.
Nach ein paar Kilometern weist ein Schild auf eine Bar fünfzig Meter weiter rechts hin und ich sehe die beiden Damen hundert Meter weit hinter mir laufen. Meine Einladung auf ein Getränk ihrer Wahl wird freudig angenommen. Nach Teo sind es jetzt nur noch fünf Kilometer und der Weg führt durch viele kleine alte Orte.
In Teo warten Wolfgang und Marco schon auf uns. Sie haben eingekauft und es wird heute selbst gekocht. Wir sind nur zu sechst in der Herberge. Marco verpasst noch den Damen eine Massage auf einer Turnmatte vor der Herberge. Zwei Spanier kommen an und Marco und Wolfgang überprüfen kritisch die Vorräte und kommen zum Ergebnis, dass das Essen reicht, der Wein aber knapp ist. Ich werde auserwählt, den Vorrat in der kleinen Bar in der Nähe aufzustocken. Dort werden im Hinterzimmer Wasserflaschen mit Vino Tinto und Vino Blanco für mich gefüllt. Das Abendessen ist einfach, doch sehr lecker, denn es ist mit Liebe gekocht. Da es für jeden nur ein Glas gibt, müssen wir uns immer entscheiden ob Wein oder Wasser da rein kommt. Scherzhaft erhält der Wein die Bezeichnung Aqua Tinto, Aqua Blanco und es gibt aber auch Aqua Aqua. Die Sprachensuppe in Deutsch und Spanisch wird von einigen englischen Brocken unterlegt, wenn keiner Lust hat zu übersetzen. Eva und Wolfgang sprechen beide sehr gut Spanisch. Eva war ein Jahr in Südamerika unterwegs. Von Lena bekomme ich den Tipp, doch für einen Monat nach Kuba zu gehen und dort Spanischunterricht zu nehmen. So hat Wolfgang sein Spanisch gelernt. Einer der Spanier ist der festen Überzeugung, dass er mich kennt. Er kommt aus Zaragoza und arbeitet bei einem Automobilhersteller bei dem ich tatsächlich vor ca. 20 Jahren einmal beruflich gewesen bin. Sollte die Welt wirklich ein Dorf sein?
Der Sonnenuntergang ist einer der schönsten auf dem Weg bisher. Der Abend wird recht lang, obwohl einige ganz früh aufstehen wollen. Auch ich will morgen zur Mittagsmesse pünktlich in Santiago sein. Es sind bis dahin nur 13 Kilometer. Mal sehen, was uns der nächste Tag bringt.