In unserem Zimmer lag der lauteste Schnarcher. Trotzdem bin ich gut ausgeschlafen, als wir um 6:30 Uhr, wie angekündigt, von baskischer Musik geweckt werden. Auch dass es in der Herberge nur zwei Bäder gibt, führt nicht zu Stress oder gar Hektik. Am Frühstückstisch wird in Schichten gegessen.
Nach und nach macht sich jeder auf den Weg. Das Wetter ist herrlich zum Wandern, der Weg gut markiert. Es geht viel bergauf und bergab. Um 12:30 Uhr bin ich in Pasaia, ich habe eine Alternativroute gewählt. Im Touristenbüro decke ich mich mit Informationsmaterial ein. Der Camino wird hier per Boot fortgesetzt. Für 70 Cent geht es auf die andere Seite des Hafens. Dort ist auf einer Bank Picknickzeit für mich. Wenn mein Stepcounter, mein neues Spielzeug auf diesem Camino, richtig funktioniert, dann habe ich von der heutigen Etappe 16 Kilometer erledigt und es bleiben für den Nachmittag nur noch zehn Kilometer übrig, also habe ich keinen Grund zur Eile. Ich werde dem Vorschlag der Dame im Touristenbüro folgen und auch hier die Alternativroute am Leuchtturm vorbei nehmen.
Der Weg bleibt schön. Nach der Bucht geht es gefühlte 1.000 Stufen eine Treppe hoch. Ich begegne einem französischen Pilger. Nur wenige Worte haben wir in unserem Sprachenrepertoire gemeinsam. Doch es ist schön, jemanden zu treffen, der die gleiche Caminoleidenschaft in sich trägt. In San Sebastián informiere ich mich im Touristenbüro, bekomme wieder einen Stadtplan. In der Stadt ist der Weg nicht markiert, doch er ist einfach zu finden. Es geht immer am Strand entlang. Ein Pilger hat gehört, dass hier eine Herberge geöffnet sein soll. Doch das erweist sich als Irrtum. Inzwischen ist unsere Schar auf acht Pilger angewachsen, die ein Quartier für die Nacht suchen. Ein spanisches Ehepaar hilft uns weiter und führt uns schließlich zur Jugendherberge, die mir der Herr im Touristenbüro im Plan markiert hatte. Wieder einmal bin ich dem Herdentrieb gefolgt und habe dadurch einen Umweg gemacht. Wann lerne ich endlich, meinen Weg zu gehen?
Mein Stepcounter zeigt 29,5 Kilometer an, während der Pilgerführer von 26 Kilometern spricht. Egal! Um 17:00 Uhr schaue ich das erste Mal seit Pasaia auf die Uhr. Dann ist der „Emmanuelle–Wurf“ dran. Ich habe Emmanuel auf dem Camino Francés getroffen und von ihr gelernt, alles Überflüssige wegzuwerfen. Und so miste ich jetzt alle Pläne aus, die durchlaufen sind.
Nachdem alle anderen geduscht haben, erledige ich mein Pflichtprogramm. Als die Wäsche auf der Leine hängt, mache ich mich wieder auf den Weg zurück an den Strand. Ich erinnere mich richtig, auf dem Herweg einen offenen Supermarkt gesehen zu haben.
Obwohl es jetzt um 18:30 Uhr nur noch 14 Grad sind, liegen noch viele Leute am Strand. Auf dem Rückweg zur Herberge kommt mir ein australisches Ehepaar entgegen. Sie sind zu spät bei der Jugendherberge angekommen, alles ist voll. Ich setze mich auf eine Bank am Strand, lausche den Wellen und runde mein Abendessen mit drei Mandarinen ab. Dass ich in einer großen quirligen Stadt bin, merke ich hier am Strand nicht. Der heutige Weg hat mich auch innerlich ruhig gemacht.
Als ich zurück in die Herberge komme sind gerade zwei Damen im Aufbruch in die Stadt. Ich schließe mich an und wieder geht es am Strand entlang. Die beiden klären mich noch auf, dass ich heute Nachmittag einen riesigen Umweg gemacht habe, als ich den Bogen am Meer entlang gegangen bin. Ich hätte vom Touristenbüro aus einfach rechts die Straße durch die Stadt nehmen können. Was macht das schon! Der Bogen war schön und auf dem Camino mag ich Städte noch weniger als sonst. Dann trennen wir uns, denn sie finden nichts Rechtes auf der Speisekarte in dieser Bar. Ich habe ohne Karte und ohne Rücksicht auf die Preise mein Wasser und ein paar Tapas bestellt. So sitze ich alleine auf der Terrasse mit Blick aufs Meer und lausche wieder den Wellen. Und das Alleinsein gefällt mir. Ein später Segler läuft in den Hafen ein. Langsam versinkt die Sonne im Meer.
Auf dem Rückweg lasse ich es mir nicht nehmen, die Hosenbeine hochzukrempeln und durchs Wasser zu laufen. Ich habe das Gefühl, schon ganz lange unterwegs zu sein. In der Herberge notiere ich mir die Adresse einer Pension in 26 Kilometer Entfernung in Askizu.
Hafeneinfahrt von Pasaia
Karte meines ersten Pilgertages auf dem Camino del Norte von Irun nach San Sebastian