Da es erst um 8:00 Uhr Frühstück gibt, beginnt das Tütenrascheln erst um 7:30 Uhr. Im Bad treffe ich Werner. Wie konnte der uns einholen? Mit Zahnbürste im Mund ist die Antwort nicht zu verstehen. Er will auf jeden Fall auch direkt weitergehen, also wird es heute Abend mindestens ein bekanntes Gesicht geben und ich werde mich auch wieder bequem auf Deutsch unterhalten können, denn Werner kommt aus Österreich. Doch eigentlich wollte ich ja Sprachen lernen auf diesem Camino. Was nicht ist, kann ja noch werden. Meinen Rucksack habe ich so schnell gepackt, dass noch eine Viertelstunde Zeit bis zum Frühstück ist, mein Tagebuch zu schreiben. Und so kommt in der relativen Ruhe, die ein paar Getränkeautomaten im Vorraum vom Frühstückssaal übrig lassen, die Frage auf: „Warum bin ich hier, warum laufe ich immer wieder einen Camino?“ Ja, ganz vordergründig will ich diesmal abnehmen, will eine ganz persönliche Fastenzeit einlegen und auf Alkohol auf diesem Camino gänzlich verzichten. Ein schweres Unterfangen, da zu einem Pilgermenue immer Vino Tinto gehört. Doch dahinter liegt die Frage, warum ich dieses oder jenes so mache und nicht anders, warum ich bin, wie ich bin. Und lernen zufrieden zu sein, wie ich bin.
Die beiden Südtiroler kommen und zum Abschied landet Otmars eMail-Adresse in meinem Büchlein.
Mir ist der Weg aus Bilbao hinaus beschrieben worden. Es soll am Flussufer entlang gehen. Der markierte Weg verläuft allerdings anders und so folge ich diesem durch die Berge. Meine Variante soll sieben Kilometer länger sein, doch was ich an Stadt gesehen habe, reicht mir. Die Herberge in Pobeña erreiche ich nach 26,5 Kilometern. Nach dem Pflichtprogramm setze ich mich an einen Tisch im Freien mit einem selbst gebrauten Kaffee, denn zu meinem Luxusgepäck gehören Kaffeepäckchen und Teebeutel. Dann mache ich mich in den vorherigen Ort auf, der nur einen Kilometer zurückliegt. Dort gibt es einen Supermercado. Ich will heute kein Pilgermenü, sondern mir im Gemeinschaftsraum mein Essen selbst zubereiten. Soweit der Plan. Zurück gehe ich am Strand entlang und entdecke auch den winzigen Laden. Doch in der Zwischenzeit kommt mir der Gedanke, dass bei diesem kühlen Wetter eine warme Mahlzeit verlockend wäre. Also lasse ich den Einkauf und mache mich auf den Rückweg. Ich genieße das freie Umentscheiden bei den täglichen Kleinigkeiten.
Der Rückweg führt mich wieder am Wasser entlang. Die Hosenbeine hochgekrempelt und die Schuhe in der Hand, lasse ich die Wellen meine Füße umspülen. War es vormittags recht regnerisch, so ist der Nachmittag trocken. Der Wind hat meine Wäsche blitzschnell trocknen lassen. Die Wäscheschleuder der Herberge hat ihm die Arbeit leicht gemacht. Eine Stunde darf ich noch bis zum Abendessen herumtrödeln. Ich bekomme die Information von Besitzern des gelben Pilgerführers, dass es morgen wieder eine Abkürzung von sieben Kilometern gibt. Mal sehen, was ich mache. Meine Tendenz ist, einfach den gelben Pfeilen zu folgen, auch wenn das etwas weiter ist. Die Pfeile folgen dem historischen Weg und ich bin unterwegs, um diesen Weg zu gehen, und das Ankommen, vor allem das schnelle Ankommen ist zweitrangig.
Jetzt kommt meine mitgebrachte „Mundorgel“ zum Einsatz, einige Lieder lese ich mir durch und singe sie in Gedanken. Ich wollte ja auf diesem Camino die Texte der deutschen Volkslieder auffrischen und nicht immer nur bei der ersten Strophe stecken bleiben.
Das Abendessen in der nahe gelegenen Bar ist gut und reichhaltig. Unser Tisch ist international, also wird vorwiegend Englisch gesprochen. Die Themen sind recht oberflächlich. Tiefer gehende Gespräche sind in der Regel Vier-Augen-Sache. Pünktlich um 22:00 Uhr geht der Hospitalero, der aus Madrid kommt und seinen Dienst hier ehrenamtlich absolviert, durch den Schlafsaal und zählt nach, ob alle pünktlich gekommen sind. Ja, die Anzahl seiner Schäfchen stimmt und das Licht geht aus.