Ich raschle zwar nicht als Erster mit meinen Tüten, bin jedoch am Frühstückstisch der Erste. Mein Rucksack ist schon fertig gepackt. Da jedes Stück seinen festen Platz hat bin ich in der Disziplin Rucksackpacken König. Über Nacht hat es geregnet, doch jetzt ist es trocken und man kann sogar blauen Himmel sehen. Die Sonne geht glutrot über den Wolken auf. Wieder wird klassische Musik in den CD-Player gelegt. Ich tippe auf Mozart. Die Herberge läuft auf Spendenbasis, wobei das Wort „Spende“ hier nicht benutzt wird, sondern man spricht von „freiwilliger Bezahlung“. Ich habe mich wohlgefühlt, werde also großzügig sein. Dann deckt mich noch ein freiwilliger Hospitalero mit Informationen zu drei Übernachtungsmöglichkeiten für heute Abend ein. Mein Spanisch kann ich beim Frühstück trainieren, denn drei Spanier und ein Bulgare sitzen mit mir am Tisch. Die Spanier essen schneller als ich und die Sprache wechselt ins Englische, denn es sind drei Amerikaner an den Tisch gekommen. Bei der Musik werde ich mir unsicher und frage: „Vivaldi?“ Mein Zögern beim Aufbruch kann man am besten an der Anzahl der getrunkenen Tassen Kaffee ablesen. Ich bin bei der fünften, zugegebenermaßen kleinen Tasse Kaffee angekommen.
Doch irgendwann mache auch ich mich auf den Weg. Nach sieben Kilometern im Sonnenschein gibt es schon wieder einen Café con leche, spendiert von einem Amerikaner. Mit Katrin zusammen suche ich den Weg an den Strand. Es geht wunderbar durch die Dünen. Am Bootsanleger sammeln sich einige uns bekannte Pilger. Die kurze Überfahrt nach Santander genieße ich auf dem Vorderdeck. Es sind, dort angekommen, nur wenige Schritte bis zur Touristeninformation.
Katrin deckt sich mit Hotelinformationen ein, denn sie will sich hier ausruhen. Ich hole mir die Info, wie der Camino aus der Stadt hinausführt. Städte und ich passen auf dem Camino nicht zusammen. Allein ziehe ich weiter. Kurz nach 16:00 Uhr bin ich in Santa Cruz de Bezana, meinem Zielort. Ein netter junger Mann erklärt mir auf Spanisch den Weg zu der Pension, die Pilger günstig beherbergt. Ich verstehe genug, um erst einmal in die richtige Richtung zu gehen. Die Pension soll 1,5 Kilometer querab vom Camino liegen. Auf einer Eisenbahnbrücke frage ich lieber bei zwei Damen noch einmal nach. Sie lösen das Sprachproblem elegant, sie bringen mich einfach dorthin.
In der zur Pension gehörenden Cafeteria bekomme ich einen Café con leche aufs Haus als Stärkung. Gerade, als mich eine Dame zu meinem Zimmer bringen will, kommen Otmar und Helmut um die Ecke. Wir bekommen ein geräumiges Apartment mit Terrasse und ich erlebe heute meine erste Nacht auf diesem Camino ohne Tütenrascheln. Dieser Luxus soll nur 15 Euro pro Person kosten. Mal sehen, ob es morgen früh dabei bleibt. Nach dem Abendessen ist diese Frage auch schon geklärt, die Halbpension mit Getränken macht nur 24 Euro. Gelaufen bin ich heute 34.741 Schritte und meinen Wecker im Taschentelefon stelle ich auf 7:00 Uhr.