Heute Nacht hat es viel geregnet und das tut es jetzt auch. Der Himmel verspricht, bei diesem Wetter zu bleiben. Den Gedanken, spontan einen Ruhetag einzulegen, schiebe ich innerhalb von Sekunden beiseite. Was will ich hier in dieser kleinen Stadt einen ganzen Tag lang anfangen. Also packe ich in aller Ruhe und mache mich zum Frühstück auf. Im Wintergarten wird deutlich, wie heftig der Regen ist. Bei der dritten Tasse Kaffee sehe ich ein bisschen blauen Himmel von der Seeseite heranziehen. Es war also richtig zu trödeln. Nur ab und zu regnet es noch. Ich hole das Pärchen aus den USA ein. Ein paar Worte über das Wetter und die gemeinsame Sehnsucht nach einem Café. Es geht schön durch den Wald, dann wird der Weg sehr matschig. Ein Fehltritt und ich bin bis zum Knöchel im Lehm versunken. Im nächsten Ort hole ich ein italienisches Ehepaar ein. Sie sind mit ihren Stöcken besser durch den Lehm gekommen. Die beiden Amerikaner pausieren auch im nächsten Café. Tim sieht um die Füße herum noch schlimmer aus als ich. Ich habe die Muße, im Pilgerführer zu ermitteln, wo ich bin: in Soto del Barco.
Noch sind es sieben Stunden bis zu meinem Zielort und es ist ja auch erst Viertel nach elf. Eine Stunde später kann ich mir im nächsten Ort rund um die Kirche eine der drei Bars für meinen Kaffee aussuchen. Der Finne von neulich sitzt mit seinem Notebook in der Ecke und lädt seine Fotos in sein Blog hoch. Meine Pause reicht nicht, um trocken zu werden. In der nächsten Regenpause breche ich auf. Sie ist gerade lang genug, um die Kirche im Sonnenschein zu fotografieren.
Aus dem Ort hinaus verpasse ich die Pfeile, frage mich durch. Es geht durch Wald und Feld. Im nächsten Ort steht eine Bank unter einem Vordach, genau der richtige Picknickplatz. Im nächsten Café werde ich wieder etwas warm und trocken. Nach vielen Tagen treffe ich eine Österreicherin wieder, die ich kurz in Güemes gesehen habe.
Es ist mir an den Händen so kalt, dass ich die Handschuhe aus dem Rucksack herauskrame. Der Tacho steht auf 20,6 Kilometern und es ist Viertel nach zwei. Petrus hat heute Nachmittag April im Kalender stehen. Im strömenden Regen wird die Regenhose wieder sauber von der letzten Schlammschlacht im Wald. Der kräftige Wind lässt sie schnell wieder trocknen. Ein paarmal muss ich nach dem Weg fragen, ein paarmal auch zurückgehen, doch immer wieder findet sich ein Wegweiser. Kurz vor vier wartet ein Café am Weg, dass ich nicht auslassen kann. Ich komme genau richtig zum Wetterbericht im Fernsehen: morgen noch April, dann überwiegend Sonne. Der Tacho meldet 26,3 Kilometer. Ein Stück liegt also noch vor mir. Es ist weiter April. Asphalt, Schotter und Waldwege, die zu Bächen mutiert sind, wechseln sich ab. Irgendwann taucht das Ortsschild von Soto de Luiña auf. Gleich ist also die Entscheidung fällig, ob ich die Herberge oder das Hotel vorziehe. Zwei andere Pilgerinnen sehen mein Grübeln und informieren mich, dass man sich für eine der beiden Alternativen erst an der Rezeption des Hotels entscheiden muss. Ich wähle heute wieder die Drei-Sterne-Variante. Abendessen gibt es, wie üblich, ab 20:00 Uhr, Frühstück morgen erst ab 8:30 Uhr. Das ist mir zu spät. Also gehe ich nach dem Pflichtprogramm für das Frühstück und das Picknick morgen einkaufen. Ich treffe das italienische Ehepaar von heute Mittag. Leider fehlt uns die gemeinsame Sprache. Die beiden Pilgerinnen, die mich sozusagen begrüßt haben, kommen aus Kanada und sind Mutter und Tochter. Sie planen die morgige Etappe, haben einen spanischen und einen englischen Pilgerführer. Ich steuere meinen deutschen bei. Mir gefallen die Etappendiagramme. Die beiden laufen in aller Ruhe Etappen um die 15 Kilometer.
Zum Abendessen gönne ich mir noch einmal die drei Sterne. Danach plane auch ich die nächste Etappe. Morgen entweder 32 oder 40 Kilometer, mal sehen. Das Wetter spricht auch ein Wort mit. Heute waren es 47.580 Schritte und bis Santiago sind es keine 300 Kilometer mehr, bei meinem derzeitigen Tempo also noch etwa zehn Tage. Ich hätte glatt noch Zeit, den Caminho Português ein viertes Mal zu gehen. Doch erst einmal sollte ich in Frieden in Santiago de Compostela ankommen. Ich erinnere mich, den Weg in aller Ruhe gehen zu wollen. Derzeit mache ich genau das Gegenteil, bin aber zufrieden damit.