Die Nacht war sehr ruhig. Ich braue mir meinen Kaffee in der Küche der Herberge. Beim Einkauf gestern war ich hungrig. Entsprechend viel habe ich beim Frühstück zur Auswahl. Und auch der Picknickbeutel ist gut gefüllt und entsprechend schwerer als sonst. Der rote Pilgerführer will mich heute auf eine Etappe von 9,5 Stunden schicken und 790 Höhenmeter darf ich auch erklimmen. Erst nach 8:00 Uhr kann ich den Schlüssel der Herberge bei der Polizei wieder gegen meinen Pilgerpass austauschen. Wieder ist hier die Tür geschlossen. Also darf ich noch einmal auf Spanisch telefonieren. So komme ich erst kurz vor neun los.
Die Straßen der Stadt sind mit Blumen geschmückt. Vielleicht sollte ich doch einen Ruhetag einlegen und schauen, was für ein Fest heute hier stattfinden wird. Doch die Füße kribbeln und wollen weiter. Und die Füße haben das Sagen auf dem Camino.
Heute habe ich meinen langsamen Schlenderschritt drauf. Es geht in ein schönes Tal hinein, leider ist alles nebelverhangen. Meine rechte Hüfte meldet sich. Also setze ich den linken Fuß stärker ein und das Ziepen lässt nach. Bis Gontán überholen mich fünf Pilger. Als ich die Herberge erreiche, sehe ich, dass sie dort bleiben wollen und auf Einlass warten. Ich suche mir eine Bar und studiere meinen Pilgerführer. Es sind bis Vilalba noch 4,5 Stunden und jetzt ist es erst halb eins. Mein Beschluss ist schnell gefasst, ich will weitergehen.
Die Sonne kommt endlich mal heraus. Ein leichter Rückenwind schiebt mich durch Feld und Flur. Auch am Sonntag ist der ein oder andere Bauer auf dem Feld. Immer wird freundlich gegrüßt. Und während die Grillen zirpen und die Vögel zwitschern, singe ich Wanderlieder vor mich hin. Den Text habe ich im Rucksack und kann ihn heute Abend nachlesen. Ich habe Zeit genug, darüber nachzudenken, ob ich in der Herberge bleiben will, die zwei Kilometer vor dem Ort liegen soll, oder ob heute mal wieder eine Pension dran ist. Als ich das neue Gebäude der Herberge sehe, beschließe ich hierzubleiben.
Mein Picknickbeutel ist noch übervoll, ich habe gemerkt, wie schwer mein Rucksack heute war. Die Küche ist mit Geschirr mager ausgestattet, doch ich finde eine Möglichkeit, mir meinen Tee zu kochen. Außer mir sind noch ein älteres französisches Ehepaar und eine junge Tschechin hier. Die Anmeldung ist nicht besetzt. Schon wieder darf ich spanisch telefonieren. Dafür gibt es eine Wäscheleine mit viel Platz. Die Sonne und der Wind veranlassen mich, heute einen Großwaschtag einzulegen. Mein Pilgerführer verrät mir, dass ich noch 125,8 Kilometer bis Santiago habe und der Tacho fügt hinzu, dass es heute 48.817 Schritte waren.
Die Entscheidung heute Mittag weiterzugehen, war auf jeden Fall richtig. Bei meinem Tee habe ich die Muße, den Pilgerführer zu lesen. Die Etappe morgen ist relativ flach und mit 22,8 Kilometern angenehm kurz. Ganz deutlich habe ich heute gemerkt, wie meine Stimmung vom Wetter abhängt. Bei Sonnenschein geht das Pilgern ganz von allein. Bei Regen und Nebel frage ich mich, warum ich hier bin.