Der erste Wecker geht um 5:45 Uhr und nicht nur ich murre. Mein Wecker steht auf 6:30 Uhr und das hätte locker gereicht, denn der Bus nach Santiago geht um 7:30 Uhr. Vorteil, ich brauche nicht im Bus frühstücken, sondern kann das hier schon in Ruhe in der Herberge tun.
Dann kommt der große Augenblick, nach 43 Tagen steige ich das erste Mal wieder in ein Verkehrsmittel. Diese Sekunde geht auch schmerzfrei vorbei. Ich habe zwar einen Platz mit guter Aussicht, verschlafe aber die Fahrt nach Santiago. Ich sage nur: Wecker um 5:45 Uhr. Auf dem Busbahnhof nur ein kurzer Aufenthalt, dann nehme ich den Bus zum Flughafen.
Der netten Dame am Flugschalter darf ich mein Anliegen in Deutsch vortragen. Nach einem ersten Zögern erkennt sie, dass ich den Luxus eines Flextickets habe, also umbuchen kann. Ein paar bange Sekunden auf meiner Seite des Tresens, dann hat sich meine Strategie „einfach hinkommen und alles ist gut" wieder einmal als richtig erwiesen. Ich bekomme noch einen Tipp für ein gutes Restaurant ein paar Ecken vom Flugplatz weg, „denn das Flughafenrestaurant ist halt so wie alle Flughafenrestaurants auf der Welt", fügt sie hinzu. Für einen Pilger ist das kein Problem, auch wenn es jetzt wieder einmal aus Kübeln schüttet. Habe ich ein Glück mit meinem Zeitfenster für meine Pilgerreise gehabt! Ich beglückwünsche mich noch einmal zu der Entscheidung, nicht nach Santiago zurückgelaufen zu sein, sondern den Bus genommen zu haben. Der Weg zum Restaurant geht, wie soll es anders sein, direkt an der Straße entlang, etwas unorthodox überquere ich einen Kreisverkehr. Mein grellgrüner Rucksacküberzug gegen den Regen gibt mir das Gefühl der Sicherheit gesehen zu werden. Zurück am Flughafen lasse ich meinen Rucksack einschweißen, denn dafür, die Riemen und Stöcke selber so schön zu verpacken wie beim Herflug, reicht meine Energie nicht. Dafür kann ich das mir so lieb gewordene Stück einmal auf die Waage stellen: 10,5 kg ohne Wasser, ohne Picknick, das ist okay.
Die Zeit bis zum Abflug ist schnell herum, denn die Pilger fallen in der Menge der anderen Menschen immer noch auf und einen Ansatzpunkt für ein Gespräch gibt es immer. Ich gebe zu, etwas Angst davor zu haben, was ich zu Hause erzählen soll. Was ist so besonders? Und wie immer bekomme ich einen hilfreichen Tipp: „Erzähl doch einfach genauso wie hier."
Ich fliege über Malle, eine Entscheidung, die den Vorteil hat, dass ich in der realen Welt knallhart einmal kräftig aufschlage. Zwei Stunden lang suche ich mir im 20-Minuten-Takt ein neues ruhiges Eckchen. Dann, kurz vor Mitternacht, muss ich ewig warten, bis das Band meinen Rucksack ausspuckt und ich Katharina in die Arme nehmen darf. Beim Weg nach Hause mische ich mich in die Streckenführung ein und verhelfe uns zu einer Stadtrundfahrt durch Kölner Vororte, die ich bisher nur vom Hörensagen kannte.
Zu Hause angekommen, hängt noch der Zettel von Katharina mit einer Nachricht an meinen Sohn Mirko an meiner Tür: „Hole deinen Papa vom Flughafen ab." Ups – dem Sohn, der während meiner Pilgerfahrt meine Wohnung benutzte, hätte ich vielleicht doch eine SMS schreiben können – das wäre SMS Nummer zwei auf dieser Pilgerfahrt geworden.
Ich gebe in den nächsten Tagen zu: Ich bin zu Hause aufgeschlagen, zu Hause anzukommen – das dauert noch.