Obwohl es gestern heute wurde, bin ich um 6:00 Uhr wach und die Füße wollen los. Also packe ich meine Siebensachen zusammen, lasse mir vom Portier den nächsten Weg zur Route nach Fisterra erklären, denn den Schlenker über die Plaza vor der Kathedrale möchte ich mir heute Morgen ersparen. Eine nette Spanierin weist mir zwischendurch auch noch einmal den Weg. Durch das Dunkel schlendere ich gemütlich aus Santiago hinaus. Irgendwann fällt mir auf, dass ich lange keine Pfeile mehr gesehen habe, habe Glück und sehe einen jungen Mann mit seinem Handy spielen. Ich werde weiter geradeaus geschickt. Seltsam, denke ich, die Lichter sehen nach Stadt aus, da vorne scheint Santiago zu sein. Ein Auto hält und der nette Spanier schickt mich zurück. Bin ich mal wieder meiner Tradition treu geblieben, eine Ehrenrunde zu machen. Eine halbe Stunde später finde ich dann schon den verpassten Abzweig.
Der Weg endet nicht in Santiago, er beginnt in Santiago. Das habe ich zu Hause gelesen und es ist heute Wirklichkeit für mich. Es ist ein neuer Weg. Keiner meiner bekannten Mitpilger macht sich heute auf diese Etappe. Es gibt auf den Etappen nach Fisterra zwar einige Orte, aber wenig Herbergen, und die Etappen sind verhältnismäßig lang. Die Erste heute geht noch, aber die letzte Nacht war schon arg kurz und mein Umweg dafür lang.
Das Alleinsein auf dem Weg tut jedoch gut, auch wenn es ein starker Kontrast zu den beiden Party-Tagen in Santiago ist. So ist wieder Zeit zum Denken, Zeit, das Erlebte zu verarbeiten. Eine erste Rast in einer schön gelegenen Bar. Leider fällt dann eine kleine Gruppe ein mit einem Pilger, der ohne Telefon mit Australien sprechen kann. So fällt meine Pause relativ kurz aus. Später dann geht es mal wieder an der Straße entlang und die Autos und Lastwagen donnern nur so vorbei. Eine schöne Flussaue wird mit einer engen Brücke überspannt. Das Universum meint es gut mit mir, als ich hinüberschlendere, kein Auto, kein Lkw will diese Brücke passieren, und so kann ich mir einen Blick in den Fluss gönnen. Um dem Universum zu danken, lege ich gleich danach einen weiteren Stopp ein. Auch hier ist nur ein Tisch besetzt und ich komme mit der Dame ins Gespräch, wir tauschen uns über die Eckdaten Startort und Starttag aus. Heute erregen meine Schuhe Verwunderung, es wird ihnen nicht zugetraut, mich so weit getragen zu haben, sie sehen zu neu dafür aus. Ich verweise darauf, dass ich so laufe, dass ich nicht an jeden Stein stoße, und verweise auf die abgelaufenen Sohlen. Zusammen brechen wir auf, bis nach Negreira ist es nicht mehr weit. Die Dame wird schon erwartet, ein Pilger kommt ihr entgegengeeilt.
Gegen 14:00 Uhr komme ich in der Herberge an und habe die Überraschung, dass schon alles belegt ist. Eine Französin bietet mir an, mit ihr per Taxi zur nächsten Notherberge in zwölf Kilometer Entfernung zu fahren. Ich bin gerade durch den Ort gekommen und habe da ein Hostal gesehen, also schlage ich das Angebot aus und entscheide zurückzulaufen. Zwar wären zwölf Kilometer auch noch drin, aber das „Not" vor dem Wort Herberge schreckt mich ab. Der Ort liegt einen Kilometer zurück, ein Zimmer ist frei. In wenigen Minuten ist dann meine Nase dicht, denn Schimmel und Staub mag sie nicht. Gut, ist ja nur für ein paar Stunden. Ich mache einen ausgiebigen Stadtrundgang, habe ein Picknick im Park und abends ein leckeres Essen. Es ist schön, wieder allein zu sein, ein paar andere Pilger zwar an den Nachbartischen zu sehen und ein paar Worte mit ihnen zu wechseln, aber eben wieder nur für sich zu sein.