Gestern bin ich nicht mehr ins Bett gekommen, die Trennung vom Ende der Welt fiel schwer, aber ich habe heute wieder die Option, die Etappe von 27,8 Kilometern zu halbieren. Die Nachtruhe war auch etwas getrübt von meinem Sonnenbrand, der mich noch lange an den schönen Tag gestern am Strand erinnern wird. Ich gehe frohen Mutes etwas später als sonst los. Zwei Kanadierinnen ersparen mir einen Umweg aus Fisterra hinaus, denn sie kommen den Weg zurück und weisen mir den rechten Weg.
Heute muss ich mich bezüglich der Richtung konzentrieren, denn der Weg ist in beide Richtungen gekennzeichnet, man kann von Olveiroa auch erst nach Muxía gehen und dann nach Fisterra. Es sind nur wenige Pilger auf der Strecke unterwegs und es gibt auch nur wenige Einkehrmöglichkeiten. Dann kommt eine der spannendsten Stellen auf dem ganzen Camino: Es heißt, Schuhe aus und durch den Bach waten. Große Steinquader liegen im Wasser und man kann von Quader zu Quader hüpfen. Die sind selbstverständlich ziemlich rutschig und das Wasser richtig kalt. Mir kommt an dieser Stelle ein junger Deutscher entgegen. Wir haben beide den Bach in entgegengesetzter Richtung überquert und machen jetzt Mittagspause, um die Füße trocknen zu lassen. Das haben wir beide gelernt. Wir unterhalten uns lautstark über den Bach.
Wieder einmal habe ich in der letzten Bar vergessen, Wasser aufzufüllen, und der Trinkstelle traue ich nicht.
In Muxía angekommen, vermisse ich meinen Kompass, denn ich finde mich nicht mit der Himmelsrichtung zurecht, der Weg durch die Häuser scheint endlos – kein Wasser zu haben macht soooo müde.
Die Herberge ist neu, sauber, aber ein schmuckloser Betonbau mit viel Hall. Hatte ich die letzten Tage noch überlegt, die mir noch verbliebene Zeit zu nutzen, um zurück nach Santiago zu laufen, will ich jetzt einfach nur noch nach Hause. Ich bin alles gelaufen, was ich mir vorgenommen habe, ich bin fünf Tage früher da, als mein zugegeben großzügiger Zeitplan es vorgeschrieben hat. Alles hat geklappt, ich habe eine wunderbare Zeit gehabt. Ich rufe Katharina an und teile ihr meinen Plan mit, morgen zu probieren zurückzukommen. Sie ist gelassen wie immer: „Sag bitte rechtzeitig Bescheid, wann ich dich am Flughafen abholen soll."
Ich mache mich auf zur Touristeninformation, um meine Urkunde auch für diese Etappe zu bekommen. Dort begegne ich einer Pilgerin, die mitbekommt, dass ich zögernd die Internetterminals betrachte. Ich murmle vor mich hin, dass ich überlege, meinen Flug umzubuchen, aber keine Lust habe, dieses Teufelszeug anzufassen. „Ach, Dir hilft schon einer", gibt sie mir auf den Weg, aber das Ticket ist eh im Rucksack in der Herberge und so bleibt es bei meiner Entscheidung, morgen einfach mal zum Flughafen in Santiago zu fahren und mein Anliegen persönlich vorzutragen.
Kaum bin ich aus dem Touristenbüro, fängt es an, in Strömen zu gießen. Ich biege also ab in den nächsten Supermarkt, das Frühstück für morgen einzukaufen. Mein Schirm ist selbstverständlich in der Herberge. Dann fällt mir ein, dass ich – warum eigentlich – heute wie gewohnt meine Wäsche gewaschen habe und diese draußen auf der Leine hängt. Also noch nicht zum Abendessen, sondern erst zur Herberge. Ich bin langsam genug, eine nette Pilgerin hat meine Wäsche in der Zwischenzeit von der Leine genommen und drinnen aufgehängt.
Ich richte mein Bett und kann mit meiner Jakobsmuschel angeben, die ich auf dem Weg gefunden habe. Bei der Wahl des Restaurants fehlt mir eindeutig Ineke. Ich lande in einem kleinen Fischrestaurant und vermisse nun mein Wörterbuch, von dem ich mich ja in Astorga getrennt habe. Mein Abschiedsessen in Muxía wird mein erstes Essen, das ich falsch bestelle. Der Salat hat mir gut geschmeckt.