Heute sind viele Langschläfer in der Herberge. Als ich um 7:00 Uhr zu meinem Frühstück gehe, liegen noch die meisten in den Betten. Also frühstücke ich in himmlischer Ruhe. Als ich um Viertel vor acht fertig bin, beginnt das Gedrängel in der Küche. Ich habe mein Zeitfenster wieder einmal richtig gewählt. Um 8:15 Uhr bin ich durch die Herbergstür. Ich schaffe es bis zu der Bar, in der ich gestern mit Marianna Wiedersehen gefeiert habe. Ein Café con leche geht immer. Und einen Blick in den Pilgerführer könnte ich auch heute Morgen ruhig noch einmal wagen. Bis Olveiroa sind es 33,2 Kilometer oder, anders gesagt, acht Stunden und fünfzehn Minuten. Noch herrscht gutes Wanderwetter, doch Regen hängt am Himmel. Es bleibt feucht und trüb bei leichtem Nebel. Zum Wandern ist das jedoch recht angenehm. Aber Fotomotive sind rar. Um halb zwölf taucht eine Bar auf. Ich gönne mir zu meinem Café con leche ein Stück Torte „Santiago“. Der Fernseher schweigt, hier kann ich es eine Weile aushalten und den Füßen Ruhe gönnen. Vierzehn Kilometer sind erledigt, also ein Drittel des Tagespensums. Ein Pilger kommt in die Bar, füllt den Raum. Vier andere Pilger rasten still, jeder an seinem Tischchen. Der erste wirft die Frage in den Raum, wer aus Deutschland komme. Zwei Finger außer meinem zaghaften gehen vorsichtig hoch. Es zieht ihn zu einer Dame, die sich anscheinend über die Abwechslung freut. An meinem Tisch wäre sowieso kein Platz gewesen, denn ich habe eine Barriere aus Fotoapparat, Brille, Pilgerführer, Tagebuch und Stift vor mir ausgebreitet. Doch ich brauche nicht angestrengt zu lauschen, um das Gespräch am Nachbartisch doch mitzubekommen. Beim fünften Satz ist der Herr beim Thema Fußball angelangt, einem Thema, das der Dame gefällt, sie ist offensichtlich Expertin. Als die beiden bei der englischen Liga ankommen, ist für mich die Zeit gekommen, mich wieder regenfest zu verpacken und meiner Wege zu ziehen. Um zwei Uhr mache ich eine weitere Pause vom Gehen durch den leichten Regen. Es dürften jetzt noch ungefähr zehn Kilometer sein. Vier jugendliche Spanier rasten hier auch. Sie haben nur kleines Gepäck, wohl ein Wochenendausflug auf dem Camino. Mit freundlichem Winken verabschieden sie sich von mir und ziehen ab in den Regen. Bald breche auch ich wieder auf. An die private Herberge in Olveiroa haben sie ein Restaurant/Bar angebaut. Schön ist es, bei der Ankunft direkt Marianna in die Arme zu laufen und zu fallen. Nach der Dusche bin ich wieder ein neuer Mensch. Dann suche ich mir einen günstigen Platz und habe meinen Spaß daran, die anderen Pilger bei der Ankunft zu beobachten. Marianna und ich treffen uns abends im schönen alten Restaurant ein paar Schritte weiter und sammeln zum Essen noch einen Pilger aus Konstanz ein. Er ist diesmal über die Vía de la Plata gepilgert. Am Nachbartisch sitzt ein Franzose, der auf seinem 13. Camino ist. Er schwärmt von vielen Wegen, die ich noch vor mir habe. Heute steht mein Tacho auf 45.890 Schritten.