Uwe hatte mich vorgewarnt, die Resozialisierungsphase werde ein paar Wochen dauern.
Nach der ersten Phase des sprudelnden Erzählens kam nahtlos die Planungsphase für den Pilgerweg im nächsten Jahr. Katharina stoppte mich liebevoll, aber abrupt mit meinen eigenen Worten: „Du hast so schön erzählt, dass Du im HIER und JETZT angekommen bist. Derzeit bist Du entweder im Gestern oder im Morgen, sei bitte mal JETZT HIER."
Ich habe mich damit abgefunden, dass es Briefe vom Finanzamt gibt, man planen muss, wann man wen trifft, dass die Welt aus mehr als den vier Bedürfnissen Essen, Trinken, Bett und Füße besteht. Doch alles ist für mich einfacher geworden, denn ich kann bei Bedarf die Gelassenheit, die Ruhe, die Energie des Camino in mir wachrufen. Dabei hilft mir, dass ich mit vielen Pilgern in Kontakt stehe, mitbekomme, wie auch sie sich wieder im Alltag zurechtfinden, wie auch sie die auf dem Camino gewonnene Energie weiter in sich spüren. Ich bekomme Treffen anderer Pilger mit, sei es in Madrid oder Münster, habe selber Kim und Barbara in Köln, Felicitas und Jutta auf Gran Canaria, Lijgien in Alkmaar getroffen. Ich stehe mit vielen Mitpilgern aus aller Welt in Verbindung und es tut mir gut, die positive Energie meiner Mitpilger zu empfangen, wenn meine Batterien drohen, leer zu werden. Das Geburtstagsgeschenk von Nina aus Finnland waren drei Reiki-Sitzungen, die mir geholfen haben, als ich dabei war, meine Balance zu verlieren. Ebenso tut es selbstverständlich gut, dass Nachrichten, die ich beispielsweise nach Hamburg, Chile oder Afghanistan geschickt habe, dort als ein „Energieriegel Camino" angekommen sind. Gibt es einen Zufall, der uns zusammengeführt hat? Hat es das Universum so bestimmt? War Gott im Spiel?
Die Planung für das nächste Jahr läuft bei vielen, denn es geht mir nicht alleine so, das Fernwandern, das Pilgern ist ein Virus. Meine Planung für nächstes Jahr läuft derzeit gemeinsam mit Michelle aus Florida. Wir wollen die Via Francigena nach Rom pilgern. Im Januar werde ich noch einmal ein Stück Caminho Português ab Porto zu Ehren meines Freundes Alwin einschieben, der mich dieses Jahr an sich auf den letzten 200 Kilometern begleiten wollte.
Mit Marianne habe ich neulich über den Unterschied zwischen Wandern und Pilgern gesprochen. Wandern ist, einen Weg zu gehen, um irgendwo anzukommen, Pilgern ist, einen Weg irgendwohin zu gehen, um bei sich anzukommen.
Meine Freunde haben gemerkt, dass ich mich verändert habe. Mein Päckchen ist leichter geworden und ich habe gelernt, besser mit ihm umzugehen.
Ich glaube fest daran, dass die Heilung der Seele eine Heilung des Körpers zur Folge hat. Der Camino kann helfen, die Seele ein Stück zu heilen.
Zwei Mails von meinen Mitpilgerinnen möchte ich hier weitergeben, denn sie drücken viel besser aus, als ich es sagen kann, was der Weg für uns bedeutet hat.
Lijgien hat in einer Mail geschrieben (und ich lasse ihr wunderbares Deutsch, wie sie es geschrieben hat):
„... So gab es immer für mich die richtige Personen, auf dem richtigem Moment. Ich hat mit niemand versprochen, nimmer, nicht gesmst, wo bist du, wann kommst du an. Ich bin gegangen, und dann kam wieder einer auf mein Weg, der gut für mich war.
Mit dir war es gut: dass wir zusammen laufen könnten, ohne etwas zu sagen, und dass es gar nicht notwendig war etwas zu sagen. Aber wenn einer von uns Lust hat etwas zu sagen, was unsere Gedanken waren, oder etwas was wir gesehen hatten, oder etwas zum fotografieren, dann war es auch immer gut.
Ich habe auf dem Weg wieder gelernt dass ich immer Leute finde, die mir gefallen, und dass es auch kein Problem ist, als ich einer triff, den mir nicht gefällt, dass heisst, mit wem ich nichts finden kann, das das Zusammensein heilsam macht. Dann gehe ich besser alleine weiter."
Und aus Berlin habe ich folgende Mail bekommen:
„Wie unglaublich schön, von dir zu lesen ... Ich danke dir von ganzem Herzen für deine lieben Worte und für deinen Link ...
Als er sich mir aufgetan hat, kam ich nicht drum rum, sofort loszulesen.
Die nur drei Stunden kurze Nacht hat sich für mich gelohnt!!!
Ich wurde oder besser, ich habe mich viel zu schnell vom Camino in den Alltag reißen lassen ...
Ich erinnerte mich an mein vergangenes Jahr, da habe ich knapp 6 Wochen gebraucht, um in Deutschland wieder anzukommen.
Ich bin dir so dankbar, denn beim Lesen deiner Worte hatte ich zum ersten Mal wieder das Gefühl, unterwegs zu sein. Da haben nicht mal meine Fotos für gereicht ...
Ich habe so viele Menschen wieder getroffen:) ...... und dich!!! Auf dem Camino habe ich dich so oft gedankenverloren gesehen (wenn nicht grad am Abend bei Weib, Wein und Gesang *grins*) ...
Ich durfte mich neu kennen lernen, ich durfte so viele tolle Menschen kennen lernen.
Ich habe so viel Freude und Zauber empfangen ...... dieses Jahr durfte ich davon etwas ab-, etwas weitergeben ...... das macht mich glücklich ......
Es freut mich sehr, dass dir meine kleine Botschaft Freude bereitet hat.
Das mit dem Essen ist jetzt tief verwurzelt in meinem Kopf ...... ich hoffe so sehr, dass es die Gelegenheit geben wird ... Ich bin ja eher selten in Köln, aber das nächste Mal werde ich eine Rundmail starten und lasse mich überraschen ...
Will doch mal sehen, wie ihr alle in Alltagsklamotten ausseht ...... :))
Bis dahin ...... oder bis zur nächsten Mail ...... oder bis zur Fortsetzung deines Reisetagebuches ...... verbleibe ich mit dem Wunsch, dass dir das Universum nur Gutes, viel Liebe und vor allem viel Gesundheit bringen mag, damit wir uns bald zum schönen Schlemmen zusammensetzen können ......
Ich schließe mein Büchlein mit den Worten von J. Krishnamurti, die mir heute mein Freund Dietmar geschickt hat:
„Erinnerung ist lediglich eine Erfahrung, die nicht verstanden wurde.
Tut sie das, beendet sie sich selbst."