Gut ausgeschlafen genießen wir am nächsten Morgen das ausgiebige Frühstück, das die drei Sterne des Hotels vorzüglich widerspiegelt. Nachteil von einem üppigen Frühstück im Hotel ist, dass wir erst kurz vor neun loskommen, also für unsere 30-Kilometer-Etappe mit der Nachmittagshitze rechnen müssen. Bis Logroño ist alles perfekt: gutes Wetter, Sonne, etwas Wind. Das Gelände ist relativ flach – bis jetzt. In Logroño schauen wir uns kurz um und machen ausgiebig Pause auf einer Plaza. Viele bekannte Gesichter kommen vorbei. Der Weg raus aus Logroño ist schlecht ausgeschildert, wir irren umher, ein Franzose gibt uns seinen Stadtplan. Er läuft wieder stadteinwärts. Wie wir später erfahren, hat sich sein Trupp genervt ein Taxi raus aus der Stadt genommen. Solche Gedanken sind uns fremd, wir kaufen lieber Postkarten für die Lieben daheim. Endlich mündet der Weg in einen Park, ganz nett, aber Asphalt über viele Kilometer, da werden die Füße richtig platt. Nach 1,5 Stunden soll laut Führer eine Bar kommen. Die Bar sieht schrecklich aus, es ist Wochenende und alles ist voll von Tagestouristen. Nach Trubel ist uns beiden nicht, Logroño war schon genug Trubel für einen Tag. Also schießen wir vorbei, 1,5 Stunden weiter, nunmehr durch die Hitze, weiter auf Asphalt bergauf, bergab. Gegen drei Uhr sind wir in Navarrete, haben Orangensaft, Kaffee und einen Weißwein. Wir sind jetzt zwar in der bekannten Rotweingegend Rioja, aber ein Rotwein würde doch zu sehr in den Kopf steigen. Doch wenn man den Wein am Wegesrand wachsen sieht, wird er verkostet, direkt vor Ort als Traube (die ersten beiden Reihen sind für die Pilger, sagen die Bauern) und dann auch im Glas. Es sind nur noch 7,2 Kilometer bis nach Ventosa, unserem Tagesziel. Es ist schon verrückt, dass ich mich so hetze, weil Michelle einen so engen Zeitplan hat. Ich habe mehr Zeit für den Camino, aber Michelles positive Energie gibt mir so viel, es macht so viel Spaß, den Camino mit ihr zu gehen, dass es die fünf bis zehn Kilometer, die ich am Tag mehr gehe als geplant, wett macht. Mein Körper, vor allem meine Füße, spielen, Gott sei Dank, problemlos mit.