Morgens bricht wieder jeder auf, wann er fertig ist. Es ist schön, dass wir uns kennen, schön, wenn wir uns treffen, aber den Weg geht jeder für sich allein. Das Gefühl, völlig frei, aber dennoch getragen zu sein, ist einfach nur schön.
Ich mache Stopp in der ersten Bar kurz nach der Herberge und ein zweiter Kaffee eineinhalb Stunden später tut auch gut. In Moratinos gibt es dann eine ganz tolle Kirche. Ein Dorfbewohner sitzt am Eingang mit dem Buch, in das sich jeder Pilger eintragen kann. Maria erzählt mir später in Sahagún, dass in dem Ort nur noch acht Familien leben, die Landwirtschaft betreiben. Umso bewundernswerter ist es, dass sie hier die Kirche mit so viel Liebe für die Pilger offen halten. Ich glaube, es war hier, wo uns eine alte Frau angehalten hat, auf einen Teller mit Äpfeln zeigte und jedem von uns einen anbot. Maria und Jürgen können perfekt Spanisch und bestreiten das Gespräch. Wir verweilen eine Viertelstunde und sind nicht nur vom Apfel, sondern auch von der Liebenswürdigkeit der Menschen, die am Weg leben, erfrischt.
In Sahagún wähle ich gleich die erste Herberge, etwas abseits noch draußen im Industriegürtel, aber sauber und ordentlich. Die Bekannten haben sich auf alle Herbergen im Ort verteilt. Beim Rundgang durch die Stadt klingt auf einmal mein Name über die Plaza. Nun, ich muss gemeint sein, denn so häufig ist mein Name in Spanien nicht. Maria sitzt in einer Bar. Es ist heute ihr letzter Tag, morgen geht es wieder nach Hause, nach Madrid. „Ist es nicht schön, dass es den Camino gibt, denn sonst hätten wir uns nie kennen gelernt", sagt sie und erzählt weiter, dass sie es genossen hat, mit so vielen Menschen aus aller Welt zu sprechen, aber auch mit so vielen Einheimischen. Zu Hause in Madrid würde sie nie einen Fremden einfach so auf der Straße ansprechen, wie sie das hier macht. Ich bedaure in diesem Augenblick, nicht richtig Spanisch zu können, denn das Gespräch mit den Einheimischen bleibt mir verschlossen. Maria erzählt von einem Gespräch mit einer alten Frau, die selber noch nie in Santiago war, aber täglich die Pilger vorbeiströmen sieht. Die Frau bat Maria, für sie zu beten, wenn sie in Santiago ankommt. Da es bei Maria noch ein Jahr dauern kann, nehme ich mir vor, in Santiago daran zu denken und auch schon dieses Jahr für alle lieben Menschen am Weg zu beten, die uns den Weg möglich machen.
In der Herberge lerne ich dann noch die Bettwanzen-geschädigte Martina aus Hamburg kennen. Sie darf in ihrem Badeanzug draußen in der Sonne warten, bis all ihre Sachen von den Herbergsleuten gewaschen und desinfiziert sind. Ansonsten sitzt am Nachmittag jeder mit seinem Buch in irgendeinem Winkel und schreibt. Es ist erstaunlich, wie viel Papier über den Camino getragen wird.
Abends dann ein richtig schönes Abschiedsessen für Maria. Wehmut kommt nicht auf, wir sind es gewohnt, Abschied zu nehmen, denn wenn das Universum es vorsieht, sehen wir uns ja wieder. Und außerdem ist gar keine Zeit, um sentimental zu werden: Um 22:00 Uhr machen die Herbergen zu.