Auch heute verlasse ich nicht ungern sehr früh das muffige Hostal, das Frühstück noch im Rucksack. Der Führer verspricht eine schöne Landschaft mit drei Möglichkeiten für den Kaffeestopp. Aber zuerst einmal heißt es im Dunkeln den Weg finden. Von der Herberge kommt mir eine Pilgerin, leicht zu erkennen am Rucksack, entgegen. Zeitgleich kommen wir an der Abzweigung an. Ein paar hundert Meter weiter wird es dann schon schwierig: geradeaus oder rechts, es ist keine Markierung zu finden. Ich habe meinen Führer zur Hand und die Pilgerin (Maria aus Tschechien) verlässt sich auf mich. Wieder ein paar hundert Meter weiter dasselbe Spiel: „An einer großen Kastanie vorbei", sagt mein Führer. Ich kann im Dunkeln die Baumarten nicht auseinanderhalten. Maria setzt ihren Rucksack ab und holt auch noch ihren Führer heraus. Mit der Summe der Informationen aus beiden Führern geht es jetzt bei dem matten Taschenlampenschein von Marias Lampe weiter durch den Wald. Ich bin zu faul, meinen Rucksack abzusetzen und meine auch noch herauszuholen. Es ist unheimlich im dunklen Wald, aber auch schön, wir laufen hintereinander, reden kaum. Ab und an sind Entscheidungen zu treffen, wo der Weg sein mag. Dann wird es hell, wir tauschen unsere Namen aus, Maria bedankt sich, ich frage, wofür, und dann läuft sie schnell davon.
Ich komme nach zwölf Kilometern tatsächlich an der Notherberge vorbei und beglückwünsche mich zu meiner Entscheidung, in Negreira geblieben zu sein. Mein Führer will mich heute 33 Kilometer weit haben, ob ich, ob meine Füße das auch wollen – mal sehen. Einerseits habe ich die Nachricht an Ingo im Büchlein. Wenn ich die Etappe teile, dann bekommt er sie auf keinen Fall. Auch besteht vielleicht die Chance, Colin und Jeanin noch zu sehen. Simone und Manni sind weg, das hat mir Lijgien erzählt. Nachdem ich also alle Argumente durch bin, frage ich mich, was das soll. Einfach so weit gehen, wie mir zumute ist, das Universum wird schon regeln, ob ich wen und wo ich wen treffe.
Ich bin wieder drin im Laufen, der Weg ist abwechslungsreich und es sind nur wenige Pilger unterwegs. Als ich in Olveiroa ankomme, bin ich fast überrascht, die 33 Kilometer schon abgespult zu haben. In der Herberge herrscht das Recht des Ersten. Man sucht sich ein Bett und abends wird dann erst die Anmeldung erledigt. Hilfreich sagen mir andere Pilger, dass schon alles belegt ist, also brauche ich selber nicht mehr durch die malerisch verteilten Häuser der Herberge zu streunen. Ein Pilger bietet mir seine Isomatte an, denn die Herbergsleute lassen einen wohl notfalls auf dem Küchenfußboden schlafen. Das ist mir zu abenteuerlich, ich lehne dankend ab und finde mich schon wieder in einem Hostal ein. Auch hier werde ich zu einem anderen Gebäude geführt und mir wird ein Bett in einem Vierbettzimmer überlassen. Hier ist nur das Bad voll Schimmel, ich ergattere noch das Bett am Fenster und hoffe auf eine ruhige Nacht.
Rundgang durch den kleinen Ort, Büchlein-Schreiben ist das Nachmittagsprogramm. Beim Pilgermenü lerne ich Ottmar kennen, der die Via de la Plata gekommen ist. Diese Route ist ja mein Freund Bruno gegangen, der eigentlich dafür verantwortlich ist, dass ich jetzt hier sitze, danke, Bruno.
Ein letzter Rundgang durch den Ort und ein Glas Wein in der Bar bei der Herberge. Als ich in mein Zimmer komme, ist ein weiteres Bett belegt und nicht nur das, ein lautes Schnarchen erfüllt den Raum. Ich habe ja zu Ulli und Linde gesagt, ich sei auf dem Camino grob geworden, und so zögere ich nicht und rüttle den Schnarcher, bis er Ruhe gibt. Ich bekomme in der Nacht Übung darin.