Diese Internetseite verwendet Cookies. Mit der weiteren Nutzung unserer Seite stimmen Sie dem zu. Details finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen.

Einen Discopilger (so nannte Jasmin die Pilger, die noch im Dunkeln mit Stirnlampe bewaffnet ihre Sachen zusammenpacken) darf ich heute auf dieser Pilgerfahrt erleben. Etwas später volle Beleuchtung. Um 8:15 Uhr gibt es Frühstück in der Wohnküche der Hospitalera: getoastetes Brot, verschiedene Sorten Marmelade, viel Kaffee. Ich bin versucht, meinen Schinken zu holen, doch dann habe ich, wohl zu Recht, Hemmungen, ich will nicht noch weiter unangenehm auffallen, dass ich kein Spanisch kann, reicht. Nach einer herzlichen Verabschiedung ziehen wir unserer Wege in die unterschiedlichen Richtungen. Ich gehe noch einmal zur Kirche, will Kerzen anzünden, meine Schachtel Streichhölzer hierlassen. Die beiden Geistlichen sind mitten in der Messe, ich bilde ab jetzt die Gemeinde. Ich habe Ruhe zu verweilen. Ich werde zum Abendmahl eingeladen, habe aber beim Reichen der Oblate nicht die übliche Formel parat. Ich werde gefragt, ob ich katholisch bin, antworte wahrheitsgemäß mit „Nein" und die Oblate wird wieder zurückgezogen. Nach kurzem Zögern, ob er sie zurück in den Kelch legen soll, nimmt der Geistliche die Oblate selber. Es wäre ein schöner Abschluss meiner Pilgerfahrt gewesen. Ich respektiere jedoch ohne Bedauern die religiöse Einstellung des Geistlichen. Ich habe ja über tausend Kilometer Pilgerweg gebraucht, um zu einem katholischen Abendmahl in Santiago zu gehen.

Ich komme heraus aus der Kirche und die Sonne lächelt nicht nur, sie lacht mich an, und ich gehe ihr entgegen, weiter nach Hause. Es ist ein klarer, kalter Morgen - Frost auf den Zweigen und Grashalmen. Auf den nächsten Kilometern kann ich das Thema „Abendmahl" noch einmal verarbeiten: Es ist ein religiöser Ritus, mit meinem Glauben, meinem Gott ist heute Morgen kein Konflikt aufgetreten. Wie steht es so schön in dem „Peace"-Buch: Jeden Bissen soll man mit Achtung und Aufmerksamkeit verzehren.

Den Kirchturm in El Ganso ziert ein Storchennest. Der Weg geht immer leicht bergab. Aus Steinen gelegte Pfeile weisen den Weg nach Santiago. Ich treffe ein paar Pilger, Lächeln, kurze Gespräche. Um 12:00 Uhr mache ich Pause in der ersten offenen Bar. Noch bleiben mir ein paar Pilgerstunden.

Der Tag bleibt wunderbar, der Weg geht immer geradeaus, die Sonne strahlt weiter, die schneebedeckten Berge bilden eine wunderschöne Kulisse. Kurz nach 14:00 Uhr erreiche ich die Kathedrale in Astorga – sie ist wegen Umbau geschlossen. Ihre Tür ist die beeindruckendste geschlossene Kirchentür für mich auf diesem Camino. Dann stehe ich vor dem Hotel „Gaudi" und laufe einer Gruppe Pilger in die Arme, die mir erklären, wo die Herberge ist. Ein paar freundliche Sätze, herzliche Verabschiedung - ihnen ein „¡Buen Camino!", mir eine gute Heimreise. Obwohl ich mich auf das Abschiedsdinner im „Gaudi" so gefreut habe, habe ich doch keine Lust, bis zum Abend zu warten. Ich will weiter nach León. Schon nach einer Anfrage finde ich den Busbahnhof, in zwanzig Minuten geht ein Bus nach León. Punktgenau kommt ein Anruf von Tino aus Köln wegen eines Kundenproblems - er wird es regeln und mich langsam ankommen lassen. Die Fahrt nach León kostet 3,30 Euro, mal sehen, wann ich dort bin, mal sehen, wie es dann weitergeht. Die Schalter im Busbahnhof sind alle geschlossen, sodass ich keine Information bekomme. Der Bus hält an jeder Milchkanne und so kann ich jetzt aus dem Fenster einen Blick auf die gelben Pfeile erhaschen. Der letzte Pilgerschritt ist für dieses Mal getan. Bis auf die obligatorischen Blasen hat mein Körper mir diese Pilgerfahrt gedankt, haben meine Füße mich sicher getragen.

Ich kratze in meinem Kopf nach Erdkundekenntnissen, um zwischen León, Burgos, Pamplona, Paris, Brüssel, Aachen und Köln noch weitere Etappenziele zusammenzubekommen. Ich habe mich für das langsame Ankommen entschieden. Um 15:55 Uhr bin ich in León. Weitere fünf Minuten später weiß ich, dass erst übermorgen ein Bus nach Köln geht - es ist halt Januar. Nach Burgos könnte ich um 21:15 Uhr fahren. Nehme ich also doch die Bahn? In zehn Minuten bin ich zu Fuß am Bahnhof und gewartete drei Kilometer später habe ich ein Ticket für morgen 15:07 Uhr nach Hendaye - dafür darf ich 34,30 Euro bezahlen und hoffe, dass dieser mir bisher noch unbekannte Ort auf meinem Weg nach Hause ein schönes Etappenziel darstellt. Die Dame ist drauf und dran, mir noch ein Ticket nach Paris zu verkaufen, nur gegen bar, auf Kreditkarte könnte ich das erst in Hendaye erstehen. Ich hoffe darauf, in diesem Bahnhof dann eine Fahrkarte direkt bis nach Honrath kaufen zu können, und mache mich auf den Weg in die Innenstadt. Gelbe Pfeile und Schilder helfen ebenso wie nette Passanten und bald stehe ich vor der Benediktineralbergue. Diese macht am 1. Februar wieder auf. Also lasse ich mir den Weg zur Municipalalbergue erklären, frage ein paarmal nach. Eine nette Dame bringt mich schließlich wieder zu den Benediktinern, ich kann ihr nicht klarmachen, dass diese geschlossen ist, und die andere Herberge kennt sie wohl nicht. Also zweiter Anlauf. Wenige Schritte nach der Stelle, wo ich die fürsorgliche Dame traf, finde ich dann die Hinweisschilder zur anderen Herberge. Dafür komme ich an einer offenen Kirche vorbei, bin versucht, meine Streichhölzer vor den Diodenkerzen zu hinterlassen. Der Gedanke, die Altarkerzen anzuzünden, ist nur eine Sekunde in mir.

Die Herberge hat Achtbettzimmer, drei Betten sind schon belegt. Nach dem Pflichtprogramm geht es zurück in die Stadt, der Weg ist ja mit der Dame eingeübt. In der Stadt mache ich an markanten Ecken zur Sicherheit Fotos in Zielrichtung Rückweg heute Nacht. Die Herberge ist rund um die Uhr geöffnet und ich brauche morgen erst um 10:00 Uhr das Feld zu räumen.

Zwischendurch kommt kurz ein „Hätte-Wäre-Wenn"-Moment auf, doch der entschwindet, ohne sich zu Ende formuliert zu haben. Wie es ist, ist es gut, jeder Schritt - jeder Augenblick.

Ich sitze in einer Bar und bin gerade mit meinen Notizen fertig, da höre ich englische Töne hinter mir. Ich drehe mich um, schätze ein, frage: „Peregrinos?" - „Yes." - „Room 6?" - „Yes." „That´s the camino!", würde Simone sagen. Es gibt in diesem Augenblick halt nur eine Bar in León. Es ist ein Deutscher dabei, er ist in Norddeutschland gestartet. Ein guter, kurzer Gedankenaustausch. Die anderen Pilger ziehen weiter, es ist die dritte Bar an diesem Abend für sie. Feiern ist ein – guter - Teil des Caminos. Mir ist heute nach Alleinsein, also ziehe ich nicht mit. Man sieht sich ja in Zimmer 6. Ich habe dem Deutschen meine A4–Wegbeschreibung aus Santiago gegeben. Ein Blatt weniger für meine Kartenschublade, sie wird sich freuen. Und er hat sich heute schon gefreut, im Winter ist das Wissen um jede offene Herberge und deren Zustand hilfreich.

Ich finde die Kathedrale fast auf Anhieb, daneben eine offene Kirchentür, der Gottesdienst ist gerade zu Ende. Mir fällt auf, dass über dem Altar kein Kreuz hängt, sondern eine Heiligenstatue. Ich streife weiter durch die Stadt - noch eine offene Kirchentür, wieder ein interessanter Altarraum. Lässt das Universum jetzt nur noch Kirchentüren für mich offen stehen, die mir guttun, oder übersehe ich die anderen einfach nur? Sollte ich toleranter geworden sein?

Eine hell erleuchtete Bar - kaum Zigarettenrauch - lädt mich ein. Gedanken füllen mein Büchlein. Der wunderbare Tag in León im Sommer, die Umarmungen von Angela und Simone werden wohl immer für mich mit dieser Stadt in Verbindung stehen - schöne Erinnerungen, die Kraft geben und denen ich heute weitere hinzufügen durfte. Mir geht der Gedanke durch den Kopf, ob ich mich wohl irgendwann trauen werde, in einer spanischen Bar darum zu bitten, den Fernseher auszuschalten, auf den keiner schaut?

Der Rückweg zur Herberge wird wieder zu einem Stadtrundgang. Vieles erkenne ich wieder, aber in welche Richtung geht's weiter? Kurz bevor ich meine Bilder in der Kamera befrage, passt das Schild einer Bar zu meinem heutigen Weg zur Herberge. An der Wand in dieser Bar hängen tolle Bilder von Motorradrennen. Nicht mein Sport - wenn es denn Sport ist - jedoch fasziniert mich die Begeisterung, die ich bei Bikern erlebt habe. Der Fernseher wird hier von zwei flackernden Spielautomaten ergänzt. Drei Gäste, ein Wirt, gute Musik. Abschied auf Raten von meinem zweiten Camino, dem Caminho Português und einem Stück Camino Francés rückwärts, auf dem Weg nach Hause.

Steinpfeil auf dem Weg auf der Etappe Rabanal del Camino → Astorga → León

Steinpfeil auf dem Weg auf der Etappe Rabanal del Camino → Astorga → León

Hier der Start- und Endpunkt der Etappe am 25. Januar von Rabanal del Camino, Albergue Nuestra Senora del Pilar nach Astorga und weiter mit dem Bus nach León

Joomla templates by a4joomla