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Nun sind es nur noch drei Tagesetappen bis nach Hause. So ist es nicht verwunderlich, dass schon Alltagsgedanken in mein Pilgerleben schwappen. Nach einem gemütlichen Frühstück ist erst einmal Achtsamkeit für die Füße angesagt. Nur noch der kleine Zeh am rechten Fuß beschwert sich über die Belastung des Weges. Den Weg zum Pfarrbüro habe ich gestern bei meinem Stadtrundgang ausgekundschaftet. Heute bekomme ich hier zur Feier des Morgens einen roten Stempel. Den Weg aus der Stadt hinaus kenne ich noch vom letzten September. Dann geht es lange durch den Wald. Ich muss aufpassen, den Abzweig nach Rheinbach zu erwischen, denn ich möchte ja über Bonn nach Hause gehen. Bis zur Steinbachtalsperre stehen viele Hinweisschilder und so mache ich nur einmal kurz einen Schlenker. Es ist schön, durch den kühlen Wald zu laufen und dem Gezwitscher der Vögel zu lauschen. Die Alltagsgedanken verabschieden sich aus meinem Kopf und eine wunderbare Leere kehrt ein. Bei meiner Pause an der Talsperre habe ich genug Ruhe, um das „Peace"-Buch zu zücken und den Abschnitt „Suchness" zu lesen. Der passt zu dem Gespräch, das ich vor ein paar Tagen mit dem Pärchen aus der Steiermark in Trier geführt habe. In der Mittagshitze geht es weiter. Kurz hinter Loch mahnt eine Bank zum Verweilen. Gut, dass ich heute Morgen in Bad Münstereifel etwas Obst als Picknick eingekauft habe. Ein Hahn kräht im Hintergrund und rundet so das Stimmungsbild ab. Den weiteren Weg gestalte ich sehr individuell. Ich gehe auf einem Reitweg, der sich so lange durch den Wald schlängelt, bis ich die Richtung total verloren habe. Ich komme an den mit „7" markierten Weg. Doch weder finde ich die Nummer im Kartenausschnitt meines Führers, noch kann ich mich für eine Richtung entscheiden. In Gedanken werfe ich eine Münze und gehe bis zur nächsten Kreuzung. Ich brauche nicht lange zu warten, bis jemand kommt. Nur nach ein paarmal nachfragen und ab und an „rechts" durch „links" bei den Wegbeschreibungen ersetzen bin ich in Rheinbach angekommen. Ich lande für mein alkoholfreies Weizen in einem Biergarten kurz hinter dem Stadttor mit dem klingenden Namen „Endlos". Endlos ist mir heute der Weg nicht vorgekommen, denn es war abwechslungsreich und kurzweilig, sich hier und da durchzufragen.


Gleich beim zweiten Hotel ist ein Zimmer frei für mich. Das Zimmer entpuppt sich als Appartment mit sehr viel Platz. Nach dem Pflichtprogramm und dem Telefonat mit Katharina mache ich mich auf zurück in die Innenstadt. Ich lerne, dass Rheinbach ein Brauhaus mit Biergarten direkt an der Hauptstraße hat. Es ist heute eindeutig Biergartenwetter. Wo das Pfarrbüro für den Stempel liegt und wo der Weg hinaus aus der Stadt führt, habe ich so nebenbei auch schon erkundet. Morgen sind es laut Führer dreißig Kilometer und am Abend wird die Versuchung groß sein, mich einfach in die Straßenbahn und den Bus nach Hause zu setzen, um die Quartiersuche zu sparen. Doch es würde für meinen Traum, den Jakobsweg durch Lohmar und Wahlscheid führen zu lassen, eher kontraproduktiv sein. Es wäre so schön, die Pilgerströme von Gummersbach über Trier nach Santiago durch das Aggertal zu leiten. Schließlich führt durch Vila Verde, der Partnerstadt von Lohmar in Portugal, der Camino Português. Und in Vila Verde gibt es eine kleine Pilgerherberge, in der ich auf meinem Camino 2010 schon übernachtet habe. Dieses Stichwort lässt mich übergangslos zu meinem Projekt „Band 2" springen, denn in ihm könnte ich über meine beiden portugiesischen Caminos berichten. Die Rohversion des Textes ist fertig. Dagmar korrigiert den zweiten Camino vom Februar 2011 und ich darf Dagmars Anregungen zum Camino 2010 noch bearbeiten. Auch wenn die Welt schon genug Bücher hat, reizt es mich doch, den Band 2 herauszugeben. Die viele positive und Kraft spendende Resonanz auf Band 1 ermutigen mich. Im September fällt die Entscheidung, Band 2 zu drucken oder es bei der Internetversion zu belassen. Ich bin selber gespannt, wie sie ausfällt. Die beiden Caminos ab Porto waren etwas Besonderes, denn ich bin sie zu einer unüblichen Jahreszeit gegangen. Der Januar und der Februar sind nicht gerade die Hauptpilgerzeiten. Ich möchte die Erfahrungen, die ich dort gesammelt habe, nicht missen, so, wie ich keine Erfahrung missen möchte, die ich je in meinem Leben gemacht habe. Es kommt wohl immer auf die Sichtweise an. Der Schriftzug eines Rheinbacher Optikers „Sichtweise" hat mich zu diesem Gedankenexkurs inspiriert.


Nahtlos springe ich zum Thema „Was war auf diesem Weg anders?" Es war richtig warm, der Weg war schwieriger zu finden, ich konnte mich mit jedem Passanten fließend unterhalten. Mein Projekt „Sprachen lernen" wird wieder aufgeweckt. In einem Monat brauche ich Französisch, wenn ich mit Michelle die Via Francigena ab Canterbury gehe. Mein Mathematiklehrer in der Schule hatte mir bei der Wahl zwischen naturwissenschaftlichem oder sprachlichem Zweig zu „sprachlich" geraten: „Das bisschen mehr Mathematik lernen Sie an der Uni in ein paar Wochen, der Zugang zur Sprache später ist dagegen viel, viel schwerer." Er hatte recht, ich habe nicht auf ihn gehört und den leichten und sicheren Weg zum Abi gewählt. Der leichte Weg im Augenblick ist dann eben doch oftmals der harte Weg fürs Leben.

 

Der Wasemer Turm in Rheinbach auf der Etappe Bad Münstereifel → Rheinbach 

 Der Wasemer Turm in Rheinbach auf der Etappe Bad Münstereifel → Rheinbach

 

Mehr Information zu dieser Etappe auch auf fernwege.de:

http://www.fernwege.de/d/jakobsweg/koeln-schengen/005/index.html

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