Das Land braucht Regen. Petrus ist der Meinung, heute ist der Tag, den lang erhofften Regen endlich zu schenken. Das hat den Vorteil, dass es kühler ist und ich auch die Regenhose nicht umsonst mit mir herumtrage. Ich trödle deutlich beim Frühstück, will irgendwie nicht los. Doch dann habe ich endlich alles regensicher verpackt und mache mich auf den Weg zurück in die Stadt, denn da habe ich gestern den letzten Wegweiser für den Jakobsweg gesehen. Den ganzen Vormittag regnet es durchgängig und kräftig. In Buschhoven habe ich das Gefühl, bald angekommen sein zu wollen. Ein Blick auf die Karte ist ernüchternd: Gut ein Drittel der Tagesetappe ist erst geschafft. Die Glocken der Kirche rufen zu einer Beerdigung, also sehe ich diese Kirche nicht von innen. Die überdachte Terrasse einer Pizzeria ist ein idealer Rastplatz für mich. Als Krönung der Pause ergibt sich ein nettes Gespräch zum Nachbartisch über das Pilgern. Nach der Mittagspause gestaltet sich die Wegsuche schwierig. Es gibt nur wenige Wegweiser für Heimwärtspilger. Und so lande ich in einem Ort, der außerhalb meiner Karte liegt . Ich werde von einer netten Dame ein paar Kilometer zurückgeschickt. Beim zweiten Anlauf klappt es besser. Trotz des Wetters begegne ich jetzt einigen Leuten, die mich immer wieder auf den rechten Weg weisen. So durchquere ich glücklich den Kottenforst. In Gielsdorf hat jede Laterne und jedes Straßenschild bis zur Kirche eine Jakobsmuschel aufgeklebt. Am Ortsende verpasse ich mal wieder den Abzweig für Fußgänger und folge den Wegweisern für Radfahrer hinein nach Bonn. So komme ich in den Genuss eines weiteren Schlenkers und des Feierabendverkehrs. Beim ersten Hotel, in dem ich nachfrage, ist alles belegt. Die Straßenbahnhaltestelle nach Hause wartet direkt vor der Tür. Ich überwinde mich und folge den Wegweisern zum nächsten Hotel. Dort ist wieder ein Appartment für mich frei. Katharina stimmt am Telefon auch dieser Entscheidung zu. Die Pilgerfahrt jetzt so abrupt in Bonn abzuschließen, würde mir nicht guttun. Laut Führer soll ich heute dreißig Kilometer gelaufen sein, laut Uhrzeit waren es mit meinen netten Schlenkern eher 36 Kilometer. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit. Eigentlich ist es egal, Hauptsache ist, dass ich angekommen bin.
Als ich nach einer kurzen Siesta zum Abendessen aufbreche, merke ich die Kilometer doch: Mein Gang ist nicht so recht flüssig. Ich nehme vorsichtshalber den Fahrstuhl und freue mich, dass es zu dem empfohlenen Restaurant nicht weit ist. Ich habe einen kleinen Tisch mit gutem Überblick und freue mich meines Lebens. Eigentlich ist die Zeit für einen Rückblick gekommen. „Was war auf diesem Weg besonders für mich?", ist die Frage, die in der Luft liegt. Das Besondere ist wohl, dass nichts Besonderes war. Mal zwischendurch 300 Kilometer zu gehen, ist für mich Gewohnheit geworden, eine lieb gewordene Gewohnheit. Ich genieße die Ruhe, die Zeit, zu mir zu kommen, Leere von allen Gedanken im Kopf zu haben, nur im Augenblick, beim Zwitschern der Vögel, beim Rauschen der Blätter des Waldes zu sein. Ich hoffe, dass mein Körper das mir noch viele Jahre gestattet. Ich denke an Erich mit seinen 73 Jahren, den ich in Merzkirchen getroffen habe, und bin zuversichtlich. Ein Ziel habe ich gestern und heute erreicht: Meine geschundenen Füße sind unter Belastung geheilt. Ich habe ihnen morgens und tagsüber genügend Achtsamkeit geschenkt. Zugegeben, viele Gedanken auf dem Weg waren so privat, dass sie nicht in meinem Büchlein gelandet sind. Und ich kann versichern, die ganz privaten Baustellen sind auf diesem Weg in die nächste Bauphase gelangt. Und das ist gut so!
Den Rest des Abends beobachte ich Gesten der anderen Gäste und reflektiere meine eigenen.
Rastplatz unter Bäumen auf der Etappe Rheinbach → Bonn
Mehr Information zu dieser Etappe auch auf fernwege.de:
http://www.fernwege.de/d/jakobsweg/koeln-schengen/004/index.html