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Morgens rolle ich als Erstes meine Compostela aus – ein gutes Gefühl.

Die erste Entscheidung des Tages steht an: Frühstück im Hotel oder Frühstück in der Stadt – ein schweres Leben, dieses Pilgerdasein. Die virtuelle Münze fällt auf Santiago City. Ich bummle durch die Gassen und finde Paul in der Bar, in der ich gestern mit Linde und Ulli gefrühstückt habe. Wir tauschen uns aus, nun kenne ich auch sein Päckchen. Ich informiere Paul vom Treffen mit Lijgien heute Abend, dann ziehen wir beide unserer Wege. So richtig gut geht es Paul nicht und ich möchte unsere Päckchen nicht tauschen.

Den Fotoapparat habe ich heute im Hotel gelassen, vermisse ihn auch nicht, denn meine Tagesbeschäftigung besteht darin, herumzuschlendern, hier und da einen Kaffee mit diesem oder jenem zu trinken, zur Ruhe zu kommen, es ohne Laufen auszuhalten und mich einfach nur wohlzufühlen.

Rechtzeitig um 11:00 Uhr finde ich mich in der Kathedrale ein. Heute ist es noch voller und so habe ich einen Platz in der letzten Reihe. Das Gefühl ist genauso unvergleichlich gut wie am Tag zuvor. Wenn ich das Gefühl mal brauche, werde ich mir ein Ticket nach Santiago kaufen, das ist es wert. Oder hat man das nur, wenn man hin gelaufen ist? Während des Abendmahls, das ja eh mit viel Herumlaufen verbunden ist, steige ich dann über alle Pilger in den Gängen bis zum Durchgang hinter der Jakobsstatue. Ganz leer ist es nicht, aber ich nehme mir Zeit, finde Ruhe, spüre die Kraft in mir aufströmen. Ich danke in Gedanken Ineke und Kirstin für den Tipp, es noch einmal zu diesem Zeitpunkt zu versuchen. Dann darf ich den schwingenden Weihrauchkessel noch einmal von ganz Nahem erleben.

Kurz nach der Messe treffe ich Elke, die von ihrem Mann in Fisterra abgeholt worden ist. Sie machen hier in Santiago noch einmal Zwischenstopp. Ich empfehle mein Hotel und bekomme später die Rückkopplung in Form einer ausgegebenen Tasse Kaffee – sie sind super zufrieden. Auch kleine Taten können gute Taten sein. Elke erzählt mir dann noch das Wunder, das ihr auf dem Weg geschehen ist – ich gönne es ihr von ganzem Herzen. Martina kommt vorbei und verkündet: „Empfangskomitee bilden, Liz und Sabine kommen in zehn Minuten an." Aus den zehn Minuten werden dreißig. Zur Begrüßungs­umarmung im Torbogen sagt Liz zu mir: „Schade, dass Du gegangen bist." – „Ich brauchte meine Zeit für mich." Damit ist alles gesagt.

Einen Kaffee gönne ich mir dann im ersten Hotel am Platz mit Blick auf die Kathedrale, aber schön abseits. Kaum habe ich mich gesetzt, werde ich zum Nachbartisch herübergewunken. Das deutsche Pärchen mit dem Europcarschlüssel lädt mich ein und bekommt dafür von mir die Geschichte der gelungenen Hostalsuche in Pedrouzo/Arca do Pino und meines ersten Abschiedsdinners eben dort.

Wieder Stellungswechsel und ich sehe Lijgien, Lorie und den Schwung Amerikanerinnen beim Kaffee. Ein Kaffee geht noch. Ich informiere Lijgien, wen ich alles getroffen habe. Ganz wichtig ist ihr, ob Paul auch wirklich Bescheid weiß. Ich versichere: „Ja.", verspreche aber beim nächsten Zusammentreffen mit Paul das noch einmal klarzustellen. Zur Verwunderung von Lorie zücke ich mein Büchlein und schiebe es Lijgien samt Stift hinüber, die schreibt auch gleich etwas hinein und macht eine Skizze. Lorie murmelt nur: „Woher wusstest Du das, sie hat doch nichts gesagt?" Na ja, denke ich: gemeinsam Füße gewaschen bekommen, Meseta zusammen gegangen, am Torbogen vor der Kathedrale in Santiago getroffen, da kennt man sich und weiß auch ohne Worte, was der andere gerade will. Als Lijgien und Lorie mitbekommen, dass ich morgen weiter nach Fisterra gehe, schreiben sie jeder eine Nachricht für Ingo in mein Büchlein. Mal sehen, ob ich ihn noch erwische und die Nachricht zustellen kann.

Eine Amerikanerin aus der Gruppe hatte mich mit den Worten „Mit Dir rede ich nicht, Du petzt!", begrüßt. Ich versinke im Boden, ja, ich habe gepetzt, dass sie schlaff am Wegesrand lagen. Sie verzeiht mir und setzt verwundert hinzu: „Du gehörst zu keiner Gruppe und bist doch überall dabei." Ja, ich laufe die letzten paar hundert Kilometer alleine, treffe mal diesen, mal jenen. Heute ist für mich einfach nur der Tag, alle lieben Mitpilger noch einmal zu sehen und das gute Gefühl, es geschafft zu haben, zu teilen. Ich merke, dass es für mich richtig war, allein loszugehen und nach anfänglichem Klammern an Gruppen wieder allein weiterzugehen. Durch meine unregelmäßigen Etappen habe ich viele andere Pilger kennen lernen dürfen.

Um 19:00 Uhr dann versammelt sich eine größere Truppe vor der Kathedrale. Paul bleibt am Rand, Lijgien ist bei ihm. Sie kommt dann zu mir und flüstert mir laut vernehmlich ins Ohr, dass sie keine Lust auf eine große Gruppe hat. Dieses wird sofort in alle vertretenen Sprachen übersetzt. Also teilen wir uns in verschiedene Gruppen auf und es ist Abschied angesagt. Der Abschied von Lijgien fällt mir schwer, denn es gibt noch etwas zwischen uns, was noch nicht gesagt ist. Aber ich finde es toll, dass sie sich um Paul kümmert. Immer im Leben wird man ja beobachtet, aber hier wird es gesagt. So sagt Liz direkt zu mir: „Das ist Dir aber schwer gefallen." – „Ja." – „Du hast ja uns." Der Trupp, dem ich mich angeschlossen habe, macht erst einen Stadtrundgang zu Liz' und Sabines Quartier, um Jacken zu holen, dann streifen wir durch die Stadt, um ein Restaurant zu finden, – Ineke fehlt uns.

Anschließend finden wir noch eine Bar und gönnen uns ein paar Gläser Wein. Kirstin und Jasmin sind zurück aus Fisterra und stoßen auch wieder zur Truppe. Dann ein letzter Abschied – letzte Umarmungen.

Die Compostela

Die Compostela

Ruhetag am 27. September in Santiago de Compostela, Hotel Pombal

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