Als ich die Augen öffne, begrüßt mich ein wunderbarer Sonnenaufgang und verspricht mir einen schönen Tag.
Nach dem Frühstück mache ich mich auf in den Ort zu der deutschen Bar, denn mir ist nach Unterhaltung zumute. Ich erfahre von einer Dänin „vom Klau auf dem Camino". Ihr sind Geld und alle Papiere geklaut worden, als sie ihre Sachen einmal für einen Augenblick unbeobachtet gelassen hat. Ein Pilger und die Polizei haben ihr weitergeholfen, aber sie musste ganz schön in Spanien herumfahren, um ihre Papiere wieder zusammenzubekommen. Trotz allem ist sie weitergepilgert und wirkt ausgeglichen und zufrieden. Die nächste Tasse Kaffee trinke ich dann mit einer Deutschen, die vom Camino del Norte gekommen ist. Sie nestelt an ihrem Rucksack, holt eine Scheibe Schwarzbrot heraus und schenkt sie mir. „Die werde ich heute Abend am Kap genießen", kann ich nur dankbar und gerührt sagen. Für das Abendmahl braucht es kein Gebäude, wenn ich offen bin, das Brot, wenn es mir gereicht wird, anzunehmen. So erhalte ich hier die Antwort auf meine offene Frage, sie ist über den Camino del Norte ein paar hundert Kilometer zu mir getragen worden.
Das Glück rundet sich ab und Colin und Jeanin kommen auf die Terrasse. Sie waren gestern auch oben am Kap und wir wundern uns, dass wir uns nicht gesehen haben. Sie fahren heute zurück. Verabschiedung mit den üblichen Umarmungen, die so guttun, weil sie von Herzen kommen.
Ich mache mich auf zum Strand, heute scheint die Sonne und so wage ich es auch, ins Wasser zu gehen. Wirklich warm ist das Wasser nicht, aber ein paarmal ganz unterzutauchen, ist schon drin. Ich liege zu lange in der Sonne, schone meine 900 Kilometer hierher getragene Sonnencreme und werde die nächsten Tage etwas von dieser Nachlässigkeit haben.
Die 3,5 Kilometer zum Kap abends sind schon Routine, ich treffe Maria und bekomme auch die Auflösung für ihr „Danke" im Morgengrauen: Ihr war es unheimlich im finsteren Wald so ganz alleine. Mich beruhigt, dass ich auch im Dunkeln trotz des langen Marsches noch immer vertrauenswürdig aussehe.
Ich finde, heute geht die Sonne besonders schön unter. Oder liegt es an dem Brot, das für mich so weit hierher getragen wurde? Ich genieße mein Eckchen, das ich heute wiedergefunden habe, genieße das Alleinsein, aber ein Alleinsein auf Sichtweite mit meinen Mitpilgern. Ich muss schon vorsichtig sein, die Brotscheibe aus der Verpackung zu nehmen, denn die vielen Kilometer haben ihre Spuren hinterlassen. Aber es ist die schmackhafteste Scheibe Brot, die ich je gegessen habe – Abendmahl am Ende der Welt.